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alle besorgten Anfragen heiter von sich weisend den Vorsitz übernahm, unver. züglich darauf den Einleitungsvortrag für das Thema des Tages hielt, wieder präsidirte, am Schlüsse der Debatte als Berichterstatter von neuem, und später beim Festessen zum dritten Mal sprach, beschämte der sechszig- jährige die jungen Männer fast durch seine ausdauernde Kraft. Das Gepräge der Gesundheit und Frische trägt überhaupt alles, was von Bluntschli ausgeht, seine so sichere. Jedermann durchaus beruhigende Leitung der Verhandlungen und seine großen Reden ebenso wie seine stets fördernde gelegentliche Einmischung in die Discussion. Der Protestäntentag kann sich keinen bessern Führer wünschen als ihn. der zugleich Staatsmann und Gelehrter ist. dessen Ruhe niemals in Apathie, dessen männliches Feuer nicht in Hitze überschlägt. Unter seiner Leitung sind falsche und voreilige Schritte nicht zu befürchten, noch weniger aber ein träges oder feiges Zurückbleiben hinter den Aufgaben der Zeit.
Das Thema, welches Bluntschli als Referent einzuleiten hatte, war fast zu günstig sür ihn selbst gewählt: das Verhältniß des modernen Staats zur Religion. Wie viele konnten in dieser Versammlung von Theologen, bürgerlichen Kirchenvorstehern und allenfalls kirchenrechtlich geschulten Juristen sein, welche ihm dabei überall zu folgen vermochten 5 Es war vermuthlich nur Einer da, der sich ihm einigermaßen gewachsen fühlte, Prof. Franz von Holtzen- dorff aus Berlin, und dieser machte von seinem Vorrecht als stellvertretender Präsident Gebrauch, um Bluntschlis Rede das Zeugniß der Vollendung aus- zustellen. Merkwürdigerweise war die stärkste Einwendung, welche sie in in der Debatte erfuhr, eine politische. Wir sind nachgerade über jene natio- nalen Kinderjahre hinaus, in denen die Politik auf Kongressen dieser Art ein verpönter, ängstlich ferngehaltener Gast war; die Scheu vor der Einmischung des wichtigsten irdischen Interesses hat sich vorläufig pikanterweise in eine legale Volksvertretung zurückgezogen, in das deutsche Zollparlament. Man konnte es sich daher gern gefallen lassen, daß zwei sächsische und ein östreichisches Mitglied, welche an einem großen Theile des Referats politischen Anstoß nahmen, kein Bedenken trugen, sich darüber auszulassen. In der Sache selbst bewiesen sie sich freilich als etwas naive Politiker. Bluntschli hatte die Beziehung Oestreichs als einer katholischen Macht ausdrücklich staatsrechtlich incorrect genannt, aber zugegeben, daß dieser Sprachgebrauch historisch und praktisch nicht ganz unbefugt sei. Dies fanden jene Herren ungerecht, seitdem der Kaiserstaat seine Beziehungen zur Kirche ins Freisinnige umzugestalten begonnen hat. Natürlich waren Bluntschli weder die fraglichen Anstrengungen unbekannt geblieben, noch hatten sie ihn anders als freudig berührt. Seit Oestreich uns in Deutschland nicht mehr hindert und lahmt. — so ungefähr fand er nachher Gelegenheit zu antworten —, wünschen wir ihm von Grenzbotcn II. 1868.