Gngchots Such über die englische Verfassung.
Englische Nerfassungszustände. Von Walter Bagehot. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. v. Holtzendorff. Berlin 1868.
Es ist von dem Hause der Lords gesagt worden: ,,die beste Cur gegen die Bewunderung, welche man dem englischen Oberhause zollt, ist die: hineinzugehen und dasselbe zu betrachten." Ein ähnliches Schicksal hat theilweise die englische Verfassung selbst erlebt. Wer mit den bestimmten Voraussetzungen der konstitutionellen Theorie, wie sie die wissenschaftliche Betrachtung allmählich als feststehend ausgebildet hat, an dieselbe herantrat, fühlte sich bald genug enttäuscht. Die englische Regierungssorm sollte nach den Behauptungen ihrer frühesten Bewunderer auf dem Continent die genaueste Trennung der drei Hauptgewalten, der legislativen, ereeutiven und richterlichen aufweisen, sie sollte außerdem auf dem ebenmäßigen Gleichgewicht der monarchischen, aristoeratischen und democratischen Gewalt ruhen — eine genauere Kenntniß des englischen Staatsrechts hat längst beide Vorstellungen als irrig widerlegt. Wir erinnern hier nur an die Untersuchungen Gneist's, anderer Werke nicht zu gedenken, die einer ganz veränderten Auffassung der Grundbedingungen des englischen Verfassungs- und Verwaltungsrechts Bahn brachen. Wer das Wesen einer constitutionellen Monarchie nach continentalen Begriffen gefährdet glaubt ohne die Existenz einer — in ihren bestimmten Grenzen
kraftvoll sich bewegenden königlichen Gewalt, nimmt nothwendigerweise Anstoß an der Schattenstellung der englischen Krone, deren politisch dürftiger Gehalt in einem fast beleidigenden Gegensatz zu der verschwenderisch ihr gezollten Ehrfurcht zu stehen scheint. Und selbst diese Ehrfurcht erhält gelegentlich einen bedenklichen Beigeschmack, wie bei der vor einiger Zeit so starb betonten Forderung, daß die Königin aus ihrer Zurückgezogenheit wieder hervortreten möge. „Der zur Trauer verfügbare Urlaub war auf Kosten des dem Hofe nothwendigen Glanzes überschritten worden." Was der constitutionellen Monarchie Abbruch thut, scheint dem aristoeratischen Element der englischen Regierungsform zu gute zu kommen und vielfach gilt England für den Musterstaat eines geläuterten aristoeratischen Regiments. Aber wie-
Grenzboten II. 1868. 46