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daß es die bessere Kenntniß der süddeutschen Verhältnisse, Parteien und Persönlichkeiten war, was die Nationalliberalen leitete, von vornherein eine bestimmte Stellung zu den Brüdern aus Süddeutschland einzunehmen, die einen nicht für patriotischer zu halten als sie sind, den glühenden Patriotismus der anderen nicht auf secundäre Motive zurückzuführen.
Vergleicht man mit dem düstern Anfang das helle Schlußtableau in den Räumen der neuen Börse: Graf Bismarck nicht allein mit den Nationalliberalen ausgesöhnt, sondern Äver sie hinweg selbst patriotischen Fortschrittsmännern die Hand reichend, Fürst Hohenlohe seinen preußischen Collegen in einem prägnant nationalen Toaste fast noch überbietend, und endlich den Führer der bairischen Nationalliberalen, wie er aller Vorsicht überdrüssig auf Bismark als den Mann des Jahrhunderts trinkt, — so hat man den Eindruck eines vollen und innigen Zusammenschlusses aller patriotisch-deutschen Parteien. Innerhalb der nationalliberalen Gesammtpartei sind gleichzeitig solche Verabredungen getroffen worden, welche ein Zusammenwirken der einzelnen Bestandtheile in allen wichtigen Fällen sichern. Bei dem Festmahle der Fraction am 20. Mai, welchem die süddeutschen Parteigenossen als Gäste beiwohnten, erhielt dieses Abkommen durch beziehungsreiche Reden und herzlichen persönlichen Austausch aller mit allen die Weihe einer Verbrüderung. So sind auch in dieser Beziehung dem vaterländischen Nothbau nun verlässige Stützen untergeschoben.
Den letzten Schluß der Parlamentssession bezeichnet die Festfahrt nach Kiel zur Besichtigung des Hafens und der Kriegsflotte. Keine Partei hat sich ganz von derselben ausgeschlossen, zum Zeichen, daß das nationale Bewußtsein in keiner von ihnen gänzlich fehlt. Denn nicht als bloße Größe eines Schaugeprängs oder eines Champagner-Frühstücks sind die Vertreter des dentschen Volkes dort erschienen, sondern in dieser ihrer moralischen Eigenschaft von keinen Competenzzweifeln mehr bedrängt. Nicht Alles zwar, was man sie da sehen ließ, war erfreulich- es gab auch abgetakelte Schiffe in der Hafenbucht, die an den noch schwebenden Conflict zwischen dem Bundeskanzler und dem norddeutschen Reichstag mahnten. Indessen darf man heute schon behaupten, daß dieser Zwiespalt die längste Zeit gewährt haben wird. Eine dauernde Einstellung der Flottenthätigkeit ist einfach unmöglich: daher wird sie gar bald rückgängig gemacht werden. An einem betreibaren Auswege aus der Klemme wird es dem guten Willen beider Theile jq nicht fehlen. Freudiger war ein anderes Zusammentreffen, — das merkwürdige nämlich, daß am gleichen Tage gerade die „Germania", Capitain Koldewey, von Bergen in Norwegen auf Dr. Petermanns Nordpolexpedition auslief. Dieses Unternehmen deutschen wissenschaftlichen und seemännischen Muthes ist wohl geeignet, den trüben Eindruck niederzuschlagen, welchen die Wahrnehmung der abgetakelten Schiffe etwa auf das eine oder andere Gemüth unter den Abgeordneten gemacht haben mag. Es deutet an, wo der wahre Quell unserer nationalen Stärke liegt: nicht allein in hochgetriebenen und vollendeten Rüstungen, so nothwendig diese leider sind, sondern in dem sich selbst bestimmenden muthigen und erleuchteten Unternehmungsgeist vieler Einzelner.
Berichtigung.
In Heft 21. — „Berliner Bildergallerie und ihr Katalog", ist S. 289 Z. 10 v. u. statt Antonio Vivarini zu lesen: Antonio da Murano.
VcranIwvriUche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Herdig. — Druck von Hüthel H Segler in Leipzig.