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Ein kleinstaatlicher Dualismus.
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Staatsmänner für das entartete Kaiserreich eine harte Probe zu bestehen haben. Wir verzichten um so mehr darauf, den hessischen und den östreichi­schen Dualismus als Wirkungen eines und desselben Gesetzes zu betrachten, da der östreichische Dualismus im Grunde nur die Wiederherstellung bereits früher bestandener, historisch begründeter Verhältnisse ist, während der hes­sische sich als ein völlig neues Phänomen darstellt, etwa vergleichbar dem Schauspiel, welches ein Baum gewährt, dessen Stamm mit einem male aus unerklärter Ursache, aber mit innerer Nothwendigkeit sich in zwei gesonderte Stämme spaltet. Die Verschiedenheit des östreichischen und des hessischen Dualismus zeigt sich aber namentlich auch darin, daß jener auf dem von je­her vorhandenen Gegensatze der deutschen und der magyarischen Nationalität beruht, während wir in Hessen ein interessantes und für die Einheitsfana­tiker beschämendes Beispiel wahrnehmen von dem Reichthum der deutschen Natur, die auch heute noch aus sich selbst heraus neue historische Individua­litäten zu erzeugen im Stande ist. Wer hätte früher sich träumen lassen, daß eines Tages die Bewohner des Großherzogthums Hessen sich in zwei verschiedene Völkerschaften theilen und daß der Main zwischen ihnen die Scheidelinie bilden würde, ganz so wie die Leitha die Grenze bildet zwischen arischen Germanen und turanischen Magyaren? Allerdings wer heute mit Sicherheit die Unterschiede in Körperbau, Sprache, Sitten u. s. w. angeben wollte, welche die Trennung der cismainischen von den transmainischen Hessen zur Nothwendigkeit machen, de? müßte mit besonders scharfem Auge versehen sein, und deshalb stehen die Nationalliberalen, welche der Bismarckcultus ja völlig blind gemacht hat, nicht an, zu behaupten, jene Trennung sei überhaupt sinn- und grundlos und müsse sobald als möglich aufhören. Doch man wird sich wohl bescheiden müssen, in der Zweitheilung des Großherzogthums Hessen das geheimnißvolle Walten eines unwiderstehlichen dualistischen Dranges im hessischen Staatswesen anzuerkennen, wenn dargethan wird, daß derselbe auch schon vor den Stipulationen des prager Friedens und des hessisch-preußischen vom 3. September 1866 sich geltend zu machen suchte.

Kurz vor dem Ausbruch des Krieges im Jahre 1866 starb der letzte Landgraf von Hessen-Homburg, und sein Land würde dem Großherzogthum angefallen und in demselben aufgegangen sein, wenn die darmstädter Regie­rung nicht noch zu Lebzeiten des Landgrafen einen Vertrag mit demselben abgeschlossen hätte, wonach sein Reich in den ersten fünfundzwanzig Jahren nach seinem Ableben nur im Verhältniß der Personalunion zum Großherzog­thum stehen sollte. Ein dem gewöhnlichen Verstand einleuchtender Grund hier­für war damals nicht zu entdecken. Ohnehin wurde diese Personalunion so zu sagen in der Wiege gemordet durch die bald darauf erfolgende Realunion der ehemaligen Landgrafschaft mit Preußen. Wir wollen keine leidigen Ver-