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— wer zählt die Länder —, und bei diesen Gelegenheiten bringt er dem Publieum immer von neuem ins Gedächtniß, wie oft er mit seinen Urtheilen recht gehabt, aber er unterläßt, daneben auch anzumerken, wie oft er unrecht gehabt hat; und doch würde das bei näherer Betrachtung der Angaben, die unter seinem Namen im Katalog des berliner Museums (14. Aufl.) stehen, sehr nützlich sein. Wir geben gern zu, daß die erste Auflage dieses Verzeichnisses den Ansprüchen des Publicums jener Zeit genügt hat, das noch nicht so kritisch war, wie das heurige, auch sind die gelegentlichen Hindernisse gewiß nicht gering anzuschlagen, die selbst einem Manne von ängstlicher Wahrheitsliebe bei dem Wunsche in den Weg traten, Bilder von zweifelhaftem Ursprünge mit bestimmten Namen auszustatten. Aber die Zeit der Zurückhaltung in dieser Beziehung ist für die berliner Bilder längst vorüber, und wir möchten der Gallerieverwaltung daher den Freimuth der Directoren des Städel'schen Museums in Frankfurt a. M. zur Nachahmung empfehlen, die seit Passavants Tode die ursprüngliche Nomenelatur zwar beibehalten, aber keinen Anstand genommen hat, in Anmerkungen ihr eigenes Urtheil über die Richtigkeit derselben hinzuzufügen.
Berlin besitzt etliche Gruppen von Gemälden, über die das Urtheil mit größerer oder geringerer Sicherheit festgestellt werden kann. Bei einigen ist völlig anerkannt, daß sie von anderen Meistern herrühren. als denen sie os- ficiell zugeschrieben werden, bei anderen sind die Meinungen streitig; noch größer endlich ist die Zahl solcher Werke, denen bisher überhaupt keine Aufmerksamkeit zugewendet worden ist, sei es wegen der Eigenthümlichkeit des Studiums, das sie ersorden, sei es weil sie nicht anziehend genug sind, um die Betrachtung dauernd zu fesseln. Sache eines guten Katalogs wäre es, diese Bilder durch genaues Verzeichniß ins rechte Licht zu stellen, gleichviel, welchen Rang die Maler als solche beanspruchen dürfen; dies erscheint vornehmlich als eine Pflicht gegen das große Publieum, das nicht zu der. Meinung verführt werden soll, Meisterwerke von Künstlern ersten Ranges zu betrachten, während es in Wahrheit geringe Leistungen untergeordneter Leute vor sich hat. Man mag immerhin in längeren oder kürzeren Excursen Stilgattungen und Malerschulen charakterisiren, nur muß man darauf achten, daß die Werke, die als Beispiele gelten sollen, echt sind; sonst wird Urtheil und Geschmack der Beschauer irre geleitet. Welche traurige Begriffsverwirrung ist nicht schon in den Köpfen junger Leute dadurch angerichtet worden, daß sie sich ihre Vorstellung von diesem oder jenem Meister vor Gemälden bilden mußten, wie sie zahlreich, mit großen Namen ausstaffirt, in unseren Museen hängen, und die niemals einsehen lernen, daß sie schief urtheilen, weil ihnen zufällig später keine Gelegenheit geboten worden ist, Originale solcher Meister zu sehen.