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Die zweite Woche des Zollparlaments.
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anders zu verstehen waren, als daß man aufgelegt sei, für eine motivirte Tagesordnung zu stimmen, entweder die der Freiconservativen und liberalen Baiern oder irgend eine noch einzubringende eigne. Erst am Vorabend der Debatte bestimmte ein Wink des Grafen Bismarck die preußischen Conser- vativen für einfache Tagesordnung zu stimmen; und da gleichzeitig auch die preußische Fortschrittspartei, wiewohl sie selbst eine motivirte Tagesordnung eingebracht hatte, zu dem nämlichen Entschluß gediehen war, d. h. in erster Linie für einfache Tagesordnung stimmte, so kam diese zur Annahme. Wäre sie verworfen worden was ohne diese doppelte Ueberraschung und dieses com- binirte Eintreffen von UnWahrscheinlichkeiten sicher gewesen wäre, so würde es wenigstens zu einer eingehenden Debatte und folglich zu einer Aufdeckung der jetzt verkuppelten unverträglichen Gegensätze gekommen sein. Wahrschein­lich hätte man sich dann auch im Schoße derjenigen Parteien, welche mit dem Gange'der nationalen Partei im wesentlichen einverstanden sind, also den beiden preußisch-conservativen Fractionen und der nationalliberalen, im Laufe der Verhandlung über einen angemessenen Beschluß, sei es eine Adresse oder eine motivirte Tagesordnung, geeinigt.

Die Fortschrittspartei hat mit ihren zwanzig Stimmen gewissermaßen dem schon über dem Abhang schwebenden Stein nur den letzten schwachen Stoß gegeben; ihre gegenwärtige Kraft und Bedeutung ist schon gering, ihre zukünftige wird bei dem Mangel jedes frischen Nachwuchses für ihre werthen Häupter gleich Null sein. Ungleich wichtiger und interessanter daher als die Untersuchung, was dieses Häuflein politischer Unzufriedenen zu seinem sonder­baren und ganz unerklärt gebliebenen Verhalten in der Abstimmung vom letzten Donnerstag bestimmt haben möge, erscheint die Frage nach den Mo­tiven des Grafen Bismarck. Er hat offenbar Worte fallen lassen, welche den Eindruck hervorriefen konnten und vielleicht auch sollten, als habe fort­glimmender Unmuth über den von den Nationalliberalen veranlaßten Be­schluß des Reichstags hinsichtlich der finanziellen Verantwortlichkeit der Bun­desbeamten seine Stellung zu der Adreßfrage entschieden. Also eine persön­liche Rache. Gleichwohl wird es gestattet sein, an der bestimmenden Kraft dieses von ihm vorgeschobenen Beweggrundes zu zweifeln. Bis zum Tage vor der Verhandlung, wie schon bemerkt, spielte dieser Groll in der Berech­nung der Adreßschicksale keinerlei Rolle. Allerdings scheint es eine staats­männische Leidenschaft zu geben, die wie ein gezähmter Tiger nur los­bricht, wenn ihr Herr, der politische Verstand, eine solche gelinde und jeden Augenblick zu beendigende Einschüchterung des Gegners gerade nützlich er­achtet. Man kann sie im Gegensatz zu dem Zorn des Achilles, den wir bei Homer echt und unabhängig von jeder Berechnung toben sehen, den napo­leonischen Zorn nennen, wie ihn Metternich und andere Zeitgenossen des ersten Napoleon empfunden haben, wenn diesen die Selbstbeherrschung nicht immer ohne Absicht verließ. Ein solcher gelegener Zorn, scheint es, ist auch derjenige des Grafen Bismarck; weit entfernt die Combinationen des Staats­manns zu stören, unterstützt er sie vielmehr, wie eine ungerufen zu Hilfe eilende Naturgewalt. Am 7. Mai hat diese verkündigte Bosheit ihn der Noth­wendigkeit überhoben, die wirklichen Gründe seiner so plötzlich entscheiden­den Eingenommenheit gegen den Erlaß einer Adresse öffentlich oder selbst nur vertraulich kundzuthun. Hätte er nicht umhin gekonnt, sich darüber aus­zulassen, wer weiß, ob er dann im Stande gewesen wäre, ihnen zu folgen.- Vielleicht schien das fortwährend äußerst zarte und empfindliche Verhältniß zu Frankreich diese weitgetriebene Schonung zu erheischen, oder die hier anwesen-