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Politischer Monatsbericht.
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Zeitlang aufgehört haben, aus Wien das Losungswort zu holen. Von den großen Entscheidungen, welche vor der Thür des k, k. Cabinets stehen, ist noch keine gefällt worden. Hat sichs auch bestätigt, daß der angebliche Brief, welchen Pius IX. in der Concordatsangelegenheit an den Kaiser Franz Joseph gerichtet haben sollte,'eine ziemlich plumpe, auf Einschüchterung der öffentlichen Meinung berechnete Erfindung war, so ist doch zweifelhaft ge­blieben, wann und ob das entscheidende Wort gesprochen werden wird, wenn die Curie bei ihrer gewohnten Hartnäckigkeit verharrt. Mit dem Brestlschen Finanzproject ist es inzwischen eher rückwärts als vorwärts gegangen und die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß das Ministerium des Fürsten Auersperg auf diesem wichtigen Gebiet seine erste Niederlage erfahren werde. Die Ableh­nung der Vermögenssteuer, an deren Stelle eine classificirte Einkommensteuer treten soll, kann für eine Niederlage zwar noch nicht gelten, aber der bezüg­liche Beschluß läßt doch aus eine Voreingenommenheit der Volksvertretung gegen die gesammte ministerielle Vorlage schließen. Bei der Rathlofigkeit aller übrigen Parteien und dem Mangel anderer Auskunftsmittel und Männer, will uns bedünken, man sei in der Kritik der Vorschläge des östreichischen Finanz­ministers nicht mit der gehörigen Billigkeit zu Werke gegangen- Die Finanz­commission des Reichsraths hat eine Erhöhung der Staatslasten für ebenso un­möglich und unthunlich erklärt, wie die Aufnahme einer neuen Anleihe oder die Vermehrung des Papiergeldes. Damit ist zugleich gesagt, daß Rentenreduetion und Couponsteuer allein übrigbleiben. Modifikationen dieser Pläne ist Dr. Brest! keineswegs abgeneigt, mit Recht verlangt der Finanzminister aber, daß dieselben mindestens die Möglichkeit der Resultate in Aussicht stellen, welche er in Aus­sicht genommen, d. h. die Beseitigung des Deficit binnen dreijähriger Frist. Die Voraussetzung, unter welcher dieses Ziel allein erreicht werden kann, die Aufrechterhaltung des Friedens steht allerdings auf schwankenden Füßen. Wird vom Frieden abgesehen, so ist eine Rettung des östreichischen Staatscredits aber überhaupt nicht möglich und unter den gegebenen Verhältnissen bietet der Fortbestand des gegenwärtigen cisleithanischen Ministeriums immer noch die besten Chancen dafür, daß die rachedürstenden Pläne derer, welche vom Wie­dergewinn des bei Königsgrätz verloren gegangenen kaiserlichen Einflusses in Deutschland träumen, in Zaum gehalten werden. Aus diesem Grunde muß im deutschen wie im östreichischen Interesse gewünscht werden, daß es zu einer Einigung über das Brestlsche Project kommt. Wäre die Zurück­ziehung desselben auch keineswegs mit dem Sturz Giskras und seiner Genossen gleichbedeutend, so könnte doch nicht ausbleiben, daß der Einfluß der Gegner der liberalen Partei durch das Scheitern der Finanzvorlage ebenso gekräftigt, wie das Ansehen ihrer Urheber geschmälert würde.

In Ungarn sind die Parteigegensätze sich wiederum mit ihrer früheren