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Kriegsministers zu bedrohlichen Gerüchten Veranlassung gab, boten uns das Schauspiel offenkundigster Böswilligkeit und Pflichtverletzung seitens jener Darmstädter Regierung, die ihr Existenzrecht schon einmal verwirkt hatte. Es bedürfte des energischen Auftretens durch den Prinzen Ludwig und eines preußischen Generals, um Herrn v. Dalwigk zur Erfüllung der Verpflichtungen zu zwingen, deren feierliche Uebernahme das Großherzogthum Hessen von der Einverleibung in den preußischen Staat gerettet hat. Freilich ist auch dieses Mal nur palliativisch geholfen worden, die eigentliche Krankheit des rheinischen Kleinstaats, welche den Namen des leitenden Ministers trägt, ist von der angewandten Cur ebenso unberührt geblieben, wie vor zwanzig Monaten, und die Vorgänge, deren Zeugen wir sein mußten, können sich täglich neu wiederholen. Wann das Maß der preußischen Geduld gegen die Berather des Großherzogs Ludwig erschöpft sein wird, ist nach den jüngsten Erfahrungen vollständig unberechenbar geworden. Binnen Jahressrist haben wir ergeben müssen, daß dieser Staatsmann den Eintritt des südlichen Hessen in den Nordbund gegen den ausgesprochenen Willen der Bevölkerung, und gegen die Anträge, welche er selbst in die darmstädter Kammer gebracht hatte, verhindert, und das Anerbieten zur Beschickung einer pariser Conferenz ausgesprochen hat, welche von Berlin aus direet widerrathen worden war; daß alle Hebel in Bewegung gesetzt wurden, um die Zollparlamentwahlen im östreichischen Sinne zu lenken und schließlich das Mögliche gethan wurde, um die Militärconvention ein Stück Papier werden zu lassen!
Wenn das böse Beispiel, das hier mit so beispielloser Keckheit gegeben worden, nicht die Sitten derjenigen Bundesgenossen verdirbt, welche sich bisher gefügig bewiesen, so ist das vornehmlich dem Umstände zu danken gewesen, daß die Volksvertretungen nicht allenthalben so mundtodt gemacht worden sind* als in dem Reich der Dalwigk, Gägern und Grolmann, und die preußische Regierung hat allen Grund, die abschlägige Antwort welche der Bundesrath dem Laskerschen Antrag auf vollständige Redefreiheit in allen Bundesstaaten ertheilt hat, als eine Verletzung ihres eigensten Interesses anzusehen.
Die gespannte Aufmerksamkeit mit welcher allenthalben der Eröffnung des Zollparlaments entgegen gesehen worden war, hat die darmstädter Vorgänge, wie alles, was sich sonst an den Hauptsitzen des Partieularismus zutrug , zu untergeordneter Bedeutung herabgedrückt. Weil Niemand im Stande ist, dieser Versammlung das Horoseop zu stellen, erwartet jeder von derselben eine Entscheidung in seinem Sinn, und darum wird still gehalten und abgewartet. Dazu kommt, daß die Diplamatie Oestreichs in den letzten Wochen VM ihrer sonstigen Regsamkeit verloren zu haben scheint und die durch die Concordatsdebatten verstimmten Organe des Ultramontanismus für eine
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