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Die Restitution verlorner Kunstwerke für die Kunstgeschichte.
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immer wieder bestätigt hat, daß wir uns die vollendete Kunst bei der reinsten Schönheit, der hinreißendsten Wahrheit nicht einfach, nicht hoch, nicht groß genug vorstellen können.Der gereinigten allgemeinen Auffassung kam durch Kunstwerke vermittelte Anschauung auch im einzelnen zu Hilfe. Eine Münze des Königs Antiochos Euergetes, welche ein im wesentlichen mit der Be­schreibung übereinstimmendes Athenebild zeigt und Aufmerksamkeit verdiente, weil sich auch sonst nachweisen läßt, daß die Seleuciden die Götterbilder ihrer Städte nach attischen Mustern arbeiten ließen, erhielt eine Bestätigung durch eine attische Münze, welche in kleinen Dimensionen denselben Typus als nach Athen gehörig nachweist. Dazu kamen als authentische Do- cumente athenische Reliefs mit derselben Göttergestalt, bei denen es gar nicht zweifelhast ist, daß sie das Hauptbild der Athener wiedergeben sollen. Dadurch war von der festen ruhigen Haltung der Göttin, die nur durch das gebogene Knie etwas Bewegung bekommt, von der ein­fachen, großartigen Gewandung, von den Motiven der Rechten mit der Siegesgöttin, der Linken mit Schild und Lanze im "allgemeinen eine be­stimmte Anschauung gegeben und sicherer konnte man nun auch in statuarischen Werken die Reminiscenzen des Originals nachweisen. Schwierigkeiten machte besonders noch die Schlange; mitunter fehlte sie ganz, anderemal ringelte sie sich unter der Hand in die Höhe, als sollte sie derselben zur Stütze dienen. Wenn diese Vorstellung etwas gewinnendes hat, so widerspricht sie doch der ganz deut­lichen unantastbaren Angabe des Pausanias, der die Schlange neben den Schild an die linke Seite setzt. Vergegenwärtigt man sich ferner dies Motiv in den colossalen Dimensionen der Statue des Phidias, so leuchtet ein, daß das Ungethüm die Aufmerksamkeit in einer Weise auf sich ziehen mußte, welche die Wirkung des Ganzen vollständig zerstörte. Man muß also annehmen, daß es bei der Nachbildung im kleinen darauf abgesehen war, die charakte­ristischen Attribute der Göttin deutlich zu zeigen, weshalb man der Schlange diesen hervorstechenden Platz anwies. Aber wo war sie denn beim Original? Auch hierüber sollte die Aufklärung nicht ausbleiben.

Ch. Lenormant zog im Jahr 1859 aus den Antiken des Theseums in Athen eine kleine, noch nicht anderthalb Fuß hohe Marmorstatuette der Athene hervor, welche unvollendet geblieben ist; die Rückseite ist ganz unbe­arbeitet, unter der rechten Hand ist ein rohes Stück Stein als Stütze stehen geblieben, die einzelnen Theile sind verschieden ausgearbeitet. Aber Lenor­mant erkannte, daß die Statuette die Motive der Parthenos des Phidias so bestimmt wiedergibt, daß eine Nachbildung derselben nicht zu bezweifeln ist. Zwar fehlen die Lanze und die Siegesgöttin, weil beide selbständig gearbeitet hinzugesetzt werden sollten, die Rechte ist offen ausgestreckt um die Sieges­göttin zu tragen, und über die Weise, wie beide anzubringen waren, ist