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uns freilich entgegenhalten, die Majorität im Abgeordnetenhause sei ja die alte geblieben und in ihr ruhe ja die Stärke des Ministeriums. Wir wünschten, dem wäre so. Seitdem aber Giskra, Herbst, Berger, Brestel auf der Ministerbank sitzen, hat die Majorität ihr Salz, ihre Kraft verloren. Leute wie Schindler fühlen sich und maßen sich die Führerschaft an. Stimmen kann die Majorität für die Regierung, aber nicht mehr für sie sprechen, durch die Zahl, nicht durch das Gewicht der Stimmen sie unterstützen. Dazu kommt das durchaus unzuverlässige Element der Galizier in der Majorität, die Beusts Leichtsinn zu maßlosen Forderungen verlockt hat, die gänzliche Unbedeutendheit der Minorität, die eigentlich nur durch den Staberl in der Kutte repräsentirt wird und der Umstand, daß die eigentliche Opposition — die slavisch-föderalistische Partei außerhalb des Parlaments bekämpft werden muß. Das Ausbleiben der Czechen hat sich an diesen sattsam gerächt; für das Zustandekommen der Grundgesetze war es gut, daß sie das Haus vor dem Schottenthor flohen; jetzt aber muß die Regierung alles aufbieten, daß sie diese widerhaarige Partei regelrecht mit parlamentarischen Waffen zu bekämpfen in Stand gesetzt werde. Denn ernste Verlegenheiten bereitet dieselbe nur, wenn sie auf Volksagitation angewiesen ist. In den untern Schichten der Bevölkerung besitzen die Czechen und Slaven überhaupt ihren größten Anhang, in ihrer Bearbeitung das beste Geschick. Die neuen liberalen Institutionen, die wirklich fast unbegrenzte Preßfreiheit, das erweiterte Versammlungsrecht schärfen ihre Waffen und begünstigen ihre Tendenz, in den slavischen Provinzen die Währung und Unzufriedenheit dauernd zu erhalten.
In dem Kampf gegen das Concordat wird zwar das Ministerium von ihnen nichts zu fürchten haben, — in dieser Frage sind die Czechen getheilt, — desto unbequemer können sie seiner Finanzpolitik, die alle Gegner zu gemeinsamen Schritten vereinigen wird, werden. Der Sieg aber über das Concordat und die Durchführung einer gründlichen Finanzreform, das sind die beiden nächsten und wichtigsten Aufgaben der liberalen Regierung.
Die Wiener, sonst wahrlich nicht grübelnder Natur, zum Jubiliren leicht geneigt und einer sanguinischen Auffassung der Dinge gern zugethan, haben richtig eingesehen, daß sie in der berühmten Coneordatsdebatte wohl den Feind glänzend besiegt, aber noch nicht aus dem Lande getrieben und zum Frieden gezwungen haben. Die Einführung der Nothcivilehe, die Aufhebung der geistlichen Ehegerichte hat eine größere prinzipielle als thatsächliche Bedeutung. Der Reichstag und das Ministerium erklären, daß sie sich an die Bestimmungen des Coneordats nicht gebunden halten, dieser Vertrag keine Rechtskraft besitze. Daher der Jubel in den Kreisen der Bevölkerung, die nun einmal in dem Concordat die Quelle alles Unheils erblickte, sich gedemüthigt fühlte bei dem Anhören des bloßen Namens und von dem Augen-