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der Frist glaubte man den Städten als Ersatz für die Ausweisungsbefugniß, durch deren rechtzeitige Anwendung sie bisher die Erwerbung der Ortsangehörigkeit in jedem einzelnen Falle hindern konnten, darbieten und sie dadurch gegen eine übermäßige Armenversorgungslast sichern zu müssen. Der andere Gesetzentwurf machte, unter Aufhebung des bisherigen Erfordernisses des Wohnungsnachweises, die Verheirathung von einer dem Bräutigam auszustellenden obrigkeitlichen Bescheinigung abhängig, daß derselben kein Hinderniß entgegenstehe, und verpflichtete die Obrigkeiten, eine solche Bescheinigung, abgesehen von einzelnen näher angegebenen Ausnahmefällen, keinem Volljährigen, welcher seiner Wehrpflicht genügt habe, zu versagen. Die Eheschließung sollte auf diese Weise von allen, nicht durch öffentliche Interessen und das Gedeihen der Ehe selbst geforderten Beschränkungen befreiet werden. Das Freizügigkeitsgesetz, so begründete die Regierung ihren Entwurf, mache die Erleichterung der Eheschließung zur dringenden Pflicht, weil sonst die Landesangehörigen würden verhindert werden, von den Vortheilen der Freizügigkeit in gleichem Maße Gebrauch zu machen, wie die Angehörigen der anderen Bundesstaaten; während diese in Mecklenburg heirathen könnten, würden jene im Auslande von der Gründung eines häuslichen Heerdes ausgeschlossen sein. „Von noch durchschlagenderer Bedeutung" — so führten die Motive weiter aus — „ist ein anderer, nicht erst von heute datirender Mißstand; es ist der verderbliche Einfluß, den die Erschwerung der Heirathen auf die öffentliche Moral übt. Nicht blos darf als allgemein anerkannt betrachtet werden, daß zwischen ihr und der im Lande vorkommenden großen Zahl von wilden Ehen und unehelichen Geburten ein naher Zusammenhang stattfindet, sondern es kommt weiter in Betracht, wie höchst ungünstig die Verhältnisse einwirken, in denen die unehelichen Kinder zu leben und heranzuwachsen Pflegen .... Es wird unbedenklich behauptet werden dürfen, daß sie zur Zahl der in Arbeitsscheu, Stumpfheit und Unsittlichkeit verkommenen Subjecte das verhältnißmäßig bedeutendste Contingent liefern ... Ob freilich einem so tief eingewurzelten Uebel irgend ein Mittel vollkommen gewachsen sei, steht dahin. Darüber aber kann kein Zweifel sein, daß jedenfalls der erkannte Grund des Uebels beseitigt, d. h. daß die Eheschließung von allen nicht durch öffentliche Interessen, und das Gedeihen des ehelichen Lebens selbst geforderten Beschränkungen befreiet werden muß."-
Indessen vermögen alle diese Gründe bei den Ständen nichts. Die Ritterschaft fürchtete von der Einführung einer zehnjährigen Frist für die Erwerbung der Ortsangehörigkeit durch Aufenthalt eine Rückströmung Verarmter auf die heimathlichen Güter, welche sie mit unerschwinglichen Armenversorgungslasten bedrohete, zumal wenn die Verarmten nicht nur für ihre Person, sondern in Folge der Erleichterung der Eheschließung mit Weib und
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