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fürchtungen nicht länger in der blauen Luft bleiben zu müssen. Das Napoleonische Regiment in Frankreich beschließt — wenn man die Zeit.der Präsidentschaft mit in Rechnung bringt — nächstens das zweite Jahrzehnt seiner Existenz und bereits fragt alle Welt, wo es die Mittel zur weiteren Fristung seines Bestandes hernehmen wird. Wenn in andern Staaten das hohe Alter einer Regierungsform als Grund für ihren ferneren Bestand angesehen werden kann, so steht es in Frankreich gerade umgekehrt; seit nahezu einem Jahrhundert hat sich keine Herrschaft in diesem Staat gleicher Dauer rühmen können, wie die gegenwärtige, so jung dieselbe auch ist. Ludwig XVI. saß 19 Jahre lang auf dem Throne, die Republik hat sich keine 12 Jahre erhalten, Napoleon hat durch 17 Jahre als Consul und Kaiser regiert, der Restauration war eine fünfzehnjährige, dem Bürgerkönigthum eine achtzehnjährige Lebensdauer beschieden. Das zweite Napoleonische Zeit«- alter lebt seit Jahren von der Hand in den Mund, es hat den Cursus der Abwechslungen, mit denen ein Volk unterhalten und beschäftigt werden kann, so vollständig „durchschmaruzt", daß allgemach die verwegensten Pläne die wahrscheinlichsten geworden sind. Und zu diesen wäre ein Krieg ohne Allianzen zurechnen, obgleich Napoleon III. bisjetzt einem solchen hartnäckig aus dem Wege gegangen ist. Während des Jahres 1867 war es die Möglichkeit eines Bündnisses mit Oestreich, an welcher die Spekulanten der Baisse festhielten. Daß diese Aussicht seit den letzten Wochen entschieden in den Hintergrund getreten ist, bildet das eigentliche Ereigniß, das den Jahreswechsel begleitet und hat den Conjecturalpolitikern die letzte Spanne Boden unter den Füßen hinweggezogen.
Das öffentliche Austreten des neuen östreich. Ministeriums ist von einer Reihe friedlicher Versicherungen begleitet, die das Gepräge innerer Wahrheit tragen. Nicht daß das. Haus Habsburg-Lothringen plötzlich aus seine alten Traditionen verzichtet und die Rechnung auf seine deutschen Stützen für immer gestrichen hätte, — das neue Ministerium, an dem das Selbstvertrauen der östreichischen Monarchie erstarkt, braucht den Frieden, wenn es Lebenskraft gewinnen soll und die regierende Dynastie braucht dieses Ministerium. Die gegenwärtige Zusammensetzung des k. k. Cabinets steht aber in so entschiedenem Gegensatz zu den Traditionen des östreichischen Staats, daß seine Stellung schon aus diesem Grunde eine beispiellos schwierige genannt werden muß. An der Spitze der Geschäfte steht ein norddeutscher Protestant, der nach östreichischen Begriffen ein halber Rotürier ist, seine Collegen sind freisinnige Ungarn, die bereits einmal auf der Proscrip- tionsliste gestanden haben und bürgerliche Juristen und Gelehrte ohne Familienverbindungen und Vermögen, Fremdlinge in der Hofburg, die bei den Habitues derselben nur auf Feindschaft und Mißgunst zu rechnen haben und der Umge-