384
schwer auch die Besetzung Roms und die balancirende Politik des Kaisers die Bewahrung eines äußerlich guten Verhältnisses machen. Oestreich gegenüber aber steht Italien in diesem Jahr, wie im vergangenen, in einer Defensive, welche nur bei einem Kricgsbündniß mit Frankreich verlassen werden könnte.
Unter den großen Mächten Europas aber fehlt zur Zeit noch jede feste Coalition von je zweien, und an eine dominirende von dreien ist noch gar nickt zu denken. Zwar hat die preußische Regierung sich mit dem Petersburger Cabinet zur Unterdrückung des polnischen Aufstandes vereinigt, uno sie hat sich mit Oestreich vorläufig zur Occupation Schleswigs verbunden, um daselbst, was man in Berlin und Wien deutsche Demokratie nennt, von einer kräftigen Bewegung zu Gunsten der nationalen Frage abzuhalten. Aber zwischen Oestreich und Rußland ist eine weite Kluft, welche schwerlich durch die Kunst des Herrn v. Bismarck oder einer östreichischen Reactionspartei überbrückt werden wird. Und selbst das Verhältniß Preußens zu Rußland ist wenigstens in den Augen der Russen keineswegs so fest, daß es die Russen nicht auf der Stelle irgendeinem andern Bündniß. das ihnen vorübergehend bessern Nutzen gewähren könnte, aufopfern sollten, und in Berlin lebt zwar immer noch die alte Neigung zum Anschluß an Rußland, aber über die Kräfte, welche dieser Staat einem Verbündeten abgeben könnte, täuscht man sick doch nicht mehr. Aber auck das Zusammenwirken Preußens und Oestreichs geht nicht über das militärische Vorgehen in Schleswig hinaus. Was von weiteren Verabredungen über Italien und von Wiederbelebung der heiligen Allianz enthüllt wird, ist zur Zeit nur Zeitungscombination, schon jetzt bricht eine sehr verschiedene Auffassung der schleswig-holsteinischen Frage und ein innerer Gegensatz zwischen beiden Regierungen hervor.
Ebenso ist in dem Einvernehmen Frankreichs und Englands trotz der Erklärungen Lord Palmerstons mehr gegenseitiges Beobachten als Vertrauen; jede von beiden Mächten empfindet geheime Freude über das Mißlingen eines Anlaufs, den der große Nachbar etwa macht.
So gleicht beim Beginn des Jahres der Horizont Europas einem schwülen Tage, an dem sich in jeder Himinelsgegend Wolken bilden. Wie diese sich zusammenziehen, und wohin sich die ärgsten Wetterschläge entladen, das scheint fast nock von Zufällen abhängig. Jede der Mächte Europas fühlt sich verpflichtet, die kommenden Ereignisse abzuwarten, jede ist sich bewußt, daß das Scbicksal der Herzogtbümer, welches den Deutschen die wichtigste Angelegenheit dieses Jahres ist, die übrigen Staaten Europas noch nicht zu bindendem Engagement führen darf. Denn für Europa ist der Bestand der dänischen Monarchie in den alten Grenzen durchaus kein Bedürfniß, und unter allem Unhaltbaren des londoner Protokolls ist diese Behauptung das Unhaltbarste. Die Entscheidung über das Schicksal der Herzogthümer, soweit sie überhaupt von der Diplomatie Europas abhängt, wird also zunächst durch die Auffassung gebracht werden, welche Preußen und Oestreich von jetzt ab in dieser Frage vertreten wollen; in zweiter Linie aber durch die Zustände im Südosten unseres Welttheils und durch die Allianzen und Feindschaften, welche dort aufbrennen.
Verantwortlicher Redacteur: vr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Herl'i g. — Druck von C. E. Elvert in Leipzig.