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preiszugeben? Giebt es in der Thcit eine preußische Partei, in der der alte Preußenstolz so sehr ausgestorben ist, daß ihr die Antwort auf jene Frage nur einen Augenblick zweifelhaft ist? Daß man die Schwäche einer unglückseligen Politik nachträglich dadurch zu entschuldigen sucht, daß man sie als einen Act freiwilliger Buße darstellt, war zwar neu, aber immerhin für den begreiflich, der die doctrinäre Hypokrisie unserer Feudalen kennt; daß man die erlittene Demüthigung wie eine köstliche Frucht hegt und pflegt, und es Frankreichs zweideutiger Theilnahme überläßt, die Rechte Deutschlands zu betonen , ist selbst denen überraschend, welche den feudalen Tendenzen jede mögliche Ungereimtheit zugetraut haben.
Ein anderer Grund, aus dem das Festhalten an dem londoner Protokolle als eine heilsame Politik gepriesen wird, ist der, daß auf diesem Wege ein EinVerständniß mit Oestreich erreicht sei. Indessen wollte man um jeden Preis ein EinVerständniß mit Oestreich haben, weshalb hat man denn die Einladung des Kaisers Franz Joseph zum Fürstentage abgelehnt? Wir haben seiner Zeit die Ablehnung dieser Einladung entschieden gebilligt, nicht blos weil wir das ganze Rcformproject für nicht lebensfähig hielten, sondern auch weil das Preußen auferlegte Opfer in gar keinem Verhältnisse stand zu den Vortheilen, die Preußen aus einer Einigung mit Oestreich gewinnen kann. Nun fragen wir aber, ist denn das Opfer, welches man gegenwärtig sich selbst auserlegt, geringer, ist es nicht vielmehr unendlich größer, als das damals uns von Oestreich angesonnenc? Wir können uns hier jeden Beweis ersparen, wir können uns berufen auf die Besorgnisse, mit der wiener Blätter im Anfange der Verwicklung ein einseitiges Vorgehen Preußens erwarteten, auf das in Oestreich weit verbreitete klare Bewußtsein von den Vortheilen, die eine Lösung der Frage im nationalen Sinne für Preußen haben würde. Es giebt gewiß keine leichtere Aufgabe in der Politik, als sich einen alten Rivalen dadurch zum Freunde zu machen, daß man ihm seine eigenen Interessen ohne jedes Aequivalent aufopfert. Oder sollte die den Mittclstaaten ertheilte Lection etwa ein Aequivalent für den Nachtheil sein, die Herzogthümer Dänemark zu überlassen? Daß die preußische Regierung keine freundlichen Gesinnungen gegen die Mittelstaaten hegt, ist sehr erklärlich. Indessen sollte man glauben, daß es eine glänzendere Genugthuung für Preußen gar nicht geben könne, als eben diese feindlich gesinnten Elemente unter preußischer Führung zu einem nationalen Unternehmen zu vereinigen, wie es andrerseits das gefährlichste Experiment für Preußen ist, die Mittelstaaten durch eine antinationale Politik zu alleinigen Vertretern der nationalen Idee zu machen, und das in einem Augenblicke, wo der Erbe ihres alten Protectors sich beeilt, ihren nationalen Bestrebungen, und sei es auch nur zum Scheine und in eigennützigster Absicht, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die gegenwärtig von den beiden Großmächten betriebene Politik kann, falls sie bis zu ihren äußersten