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Jacob Grimm.
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Worte, er habe sich nicht die Zeit dazu gelassen. Seine ganze Liebe, sein ganzes Dichten und Trachten ging auf in dem Eifer, in der rastlosen Thätigkeit für seine Wissenschaft, der alle seine Gedanken in jedem Momente zugewandt waren, und der gegenüber keine persönliche Neigung aufkommen konnte. Die Pflege und den gemüthlichen Halt, den die Familie gewährt, fand er in reichem Maße in dem liebenswürdigen Hause seines Bruders, das ihn wie einen zweiten Vater verehrte.

Am 16. December 1839 starb Wilhelm. Das vereinsamte den älteren überlebenden Bruder,^ der seinem Schmerze in einfachen, rührenden Worten Ausdruck gab; aber in rüstigster Thätigkeit arbeitete er fort. Ungehemmt er­schienen die Hefte des Wörterbuches, ward der Druck gefördert. Im Anfange September d. I. erkrankte er an einer Gallen- und Leberaffection, doch ward dieselbe gehoben. Er ward wieder munter, dictirte eine Reihe Briefe, die noch ganz die alte geistige Frische und Lebendigkeit athmeten. Wenige Tage darnach aber traf ihn ein Schlagansall. Am 20. September verschlimmerte sich sein Zustand, er rang fast den ganzen Tag über mit dem Tode. Es war ein Sonntag, und feierlich hallten die Glocken hinein in sein Sterbezimmer. Am Abende wiederholte sich der Schlaganfall in kurzer Pause zweimal, und um 10 Uhr schied sein edler Geist von dieser Welt. Die allgemeinste Theilnahme folgte ihm und ehrte sein Begräbniß. Unter den vielen Zeichen liebender Ver­ehrung rührte am meisten ein Todtcnkranz, der den Sarg schmückte, mit der gestickten Inschrift-auf weißem Bande:Dem Freunde der Jugend dankbare Kinder". Unmittelbar neben dem seines Bruders ward sein Sarg in die Erde gesenkt. Nach dem ausdrücklichen Wunsche des Heimgegangenen soll kein Denk­mal, sondern ein einfacher Leichcnstein die Stätte kennzeichnen.

Eine so reiche und in vielgestaltcter Thätigkeit entwickelte Begabung, wie- die Jacob Grimms, in wenigen Worten charaktcrisirend zusammenzufassen, ist kaum möglich. Sollten wir dennoch versuchen dürfen, einen einheitlichen Mittelpunkt aufzudecken, der, als das eigentlich befruchtende und gestaltende Element, aller seiner Thätigkeit immanent zu sein schiene, so möchten wir wiederholen, was wir schon an anderer Stelle ausgesprochen haben: Vielleicht nie wieder wird unserer Nation ein Mann geschenkt werden, der eine dem innersten Wesen ihrer Begabung so congeniale Natur besitzen wird. Dieser Jnstinct des Genies, der nur das ihm Gemäße zu ergreifen brauchte, dieser geniale Blick war es, den er, man möchte sagen wie eine Leuchte hinabsenkte in die dunkelsten Schachte .der deutschen Vergangenheit und des deutschen Wesens, und mit dem er Gebiete erhellte, die der größten Gelehrsamkeit und dem größ­ten Scharfsinn allein stets unenthüllt geblieben wären/