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Wohl stiegen bei meinem Eintritt in dieses Gemach düstre Gedanken in mir auf, um so düstrer, als mein Gemüth von Sorge und Unruhe gequält wurde. Denn ich mußte mir jetzt gestehen, daß ich ander bildenden Kunst vollständig gescheitert sei. Indessen an der Musik hatte ich mich noch nicht versucht/und auf sie beschloß ich mich mit der Energie der Verzweiflung und mit allerdeutschester Ausdauer zu werfen. Ich stieg daher die Treppe hinab in die Hausflur, wo ein alter Klappertasten stand, und aus ihm bearbeitete ich von jetzt an in der größten Hitze täglich sechs Stunden lang Bertinis Pianoschule, um mich mit der Theorie wieder verlraut und meine Finger zu guten Läufern zu machen. Herr Oates, der zweite Thalderg, belauschte mich bisweilen, wie ich merkte. Ich ließ mich dadurch nicht beirren, war aber nicht wenig erstaunt, als eines Morgens das Instrument verschwunden war. Man hatte es in ein andres Loeal geschafft, zu dem mir Thalberg trotz meiner eifrigsten Vorstellungen den Schlüssel nicht ausantwortcte.
Nun waren mir die Pforten zu allen drei Künsten verschlossen, und es blieb mir nichts übrig, als mich auf das Studium der neuern Sprachen zu legen. Ich theilte daher meine Zeit ein und trieb täglich außer den alten Sprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Der Italiener fing inzwischen Mäuse, Fliegen und Spinnen. Die Mäuse begoß er mit Spiritus, zündete ihn an und ließ die Thierchen laufen. Im Winter band er sie mit dem Schwänze an einen Faden und ließ sie auf dem glühenden Ofen tanzen. Den Fliegen schnitt er den Kopf ab, und den Spinnen riß er die Beine aus. Meinen Vorstellungen gegen derartigen Zeitvertreib tonnte ich nicht den nöthigen Nachdruck geben; denn es war nicht recht geheuer, mit ihm zusammenzuwoh- nen. Bisweilen krakte er auch aus einer Geige, die er mitgebracht Kalte. Er kannte keine Note und spielte blos nach dem Gehör. Wenn er sein Jnstru- mcnt strich, mußte ich die Slube verlassen. Dazwischen drangen aus dem benachbarten Hause des Franzosen herzbrechende Töne zu uns herüber. Monsieur Le Maire blies zum Zeitvertreib nach dem Gehör Trompete und Posaune und wurde im Orte als Meister auf diesen Instrumenten angesehen. Thalberg vertrieb sich die Zeit noch einfacher. Stundenlang saß er unter der Vorhalle mit dem Hut auf dem Kopfe auf zurückgelehntcm Stuhle und durchforschte die blaue Luft.
Berichtigung.
Dcr in dem Aufsatz „Dänische Schulmeister in Schleswig" (Nr. 41, S. 77) als Prodnct Lorcnzens mitgetheilte Ditbyrnmbus vom dänischen Schwancnncst ist nicht ovn jenem, sondern von Hans Christian Andersen. Unser Urtheil über den Werth desselben wird dadurch nicht geändert.
Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.