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Ein Damenpensionat im Staat Mississippi : 1. Wie ich Professor dreier schönen Künste wurde.
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Er gab mir ein Haus, und ich ging sofort an die Arbeit. Ich suchte mein Gebäude vom Firste aus abwärts zu Papier zu bringen, zeichnete mit dem größten Eifer, bemerkte aber zu meinem großen Schrecken sehr bald, daß das verwünschte Haus schief gerathen war, und daß ich die obern Theile so großartig angelegt hatte, daß für das unterste Stockwerk kein Platz mehr auf dem Papier war. Nachdenklich betrachtete ich mein Kunsterzeugniß, während H. einen Blick darauf warf, der für meine Künstlerschaft ebenso bedenklich war, als der Mangel des untersten Stockwerkes für mein Gebäude.

Du hättest etwas mehr messen sollen," sagte er.

Ja, 's mißt sich!" war meine verdrießliche Antwort.Mit Gebäu­den scheint es nicht recht gehen zu wollen, gieb mir etwas Baumschlag."

Er reichte mir eine derartige Vorlage hin und machte mich darauf auf­merksam, daß ich von unten aus aufwärts arbeiten müsse, weil Alles in der Natur wie im Menschenleben sich von unten aus entwickle. So ließ ich denn den Stamm meines Baumes vom Boden aus emporsteigen, bis der erste be­laubte Ast dem raschen Gange meiner Bleifeder ein Ziel setzte. Denn nun­mehr suchte ich jedes einzelne Blättchen ganz getreulich abzuzeichnen. Während ich mich so mit den paar Blättern gewissenhaftest abmühte, sah mir mein Freund und Lehrer mitleidig über die Schulter und sagte:Auf die Weise bist Du übers Jahr mit dem Baume auch noch nicht fertig. Mit dem Laub­werk mußt Du ganz frei verfahren. Sieh' mal, so."

Er machte es mir vor, ich machte es nach, aber leider! mit sehr schlech­tem Erfolge. Ich ließ daher meinen Baum in seiner unvollendeten Gestalt und sagte:Mein liebster H., ich denke, ich muß erst tiefer in den Süden. Vielleicht wirkt dann das Klima günstiger auf die Entwicklung meiner künst­lerischen Fähigkeiten. Gib mir jetzt einige Anweisung im Malen."

Mit dantenswerther Bereitwilligkeit schrieb mir mein Freund einen kleinen Aufsatz über Mischung, Auftragung, Abschwächung der Farben u. dgl. nieder und fügte am Ende eine Anzahl ausgemalter Vierecke bei, deren jedes einen be­stimmten Farbenton mit Angabe der Benennung enthielt; denn mir waren so­gar die Namen der meisten Farben unbekannt. Mit diesem Führer auf dem Felde der Kunst in der Tasche glaubte ich es zur Noth mit der Malerei auf­nehmen zu können. Ich kaufte mir daher noch zwei Bilder, ein kleines Genre­bild und eine große Etüde, einen Frauentopf, um mich gelegentlich unterwegs im Zeichnen zu üben, und setzte dann mit noch ungebrochenem Muthe, mit dem Italiener und dem Principale, der sich in Nichmond durch eine Lehrerin verstärkt hatte, die Reise fort.

Von Nichmond bis Montgomery in Alabama konnte ich freilich meinen künstlerischen Uebungen nicht obliegen, denn Tag und Nacht ging es rastlos auf der Eisenbahn weiter; aber zu Montgomery bestiegen wir ein Dampfboot,

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