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war und dem endlichen Ziel der Handelsfreiheit entgegenstand, erkannte List mit vollkommener Klarheit. Allein eben durch die Retorsion einer deutschen Handelspolitik sollte die Nichtigkeit des Merkantilsystems den andern Nationen selbst zum Bewußtsein kommen und dessen Abänderung für sie zur Nothwendigkeit gemacht werden. Es war ein verzweifeltes und doch logisch ganz richtiges Mittel, um zu dem Ziel der allgemeinen Verkehrsfreiheit zu gelangen. Und es war mehr als dies, es war zugleich in echt nationalem Geist gedacht. Die Emancipation der einheimischen Industrie, ihre Emporhebung zu der Höhe, auf der England stand, dessen Ueberlegenheit List mehr neidisch bewunderte als haßte, war das praktische Ziel aller seiner Bestrebungen, mit dem er die politische Einigung des Vaterlands fast identisch zusammenschaute.
Die drei Hauptgedanken von Lists agitatorischer Thätigkeit: Beseitigung der innern Verkehrsschranken, einheitliches Zoll- und Handelssystem gegenüber dem Ausland, endlich die politische Einigung der Nation als Krone der materiellen, diese drei Gedanken finden sich also schon in voller Klarheit und zugleich mit der freien Leichtigkeit des ersten schöpferischen Entwurfs in dieser Denkschrift vereinigt. Und hieran reihten sich dann gleich in der nächsten Zeit weitgreifende Ideen über Verbesserung der Flußwirthschaft und des Straßenbaues, Anlegung von Kanälen, Creditanstalten, Industrie- und Kunstausstellungen, Handelscompagnien für den Export, Schutz der Handelsmarine, über Handelsverträge mit fremden Nationen, in späteren Jahren vornehmlich über ein gemeinsames deutsches Eisenbahnnetz und Transportsystem, und über Regelung des Auswanderungswesens: Ideen, die, zum großen Theil von ihm zuerst ausgesprochen und angeregt, damals als windige Phantasien verspottet wurden, heute entweder längst in die Wirklichkeit eingeführt oder als berechtigte dringliche Forderungen allgemein anerkannt sind.
Ganz derselbe Gedankengang begegnet uns in der zweiten, ausführlicheren Denkschrift, welche List als Consuient des deutschen Handelsvereins für die wiener Ministerialconferenzen im Jahr 1820 verfaßt hat. Die Lehre Adam Smiths wird in der Theorie ausdrücklich nicht angefochten, aber ihre Anwendung auf Deutschland „unter den gegenwärtigen Umständen" als gefährlich bezeichnet. Sollte es, fragt List, die feindseligen Maßregeln nicht erwiedern, um wenigstens billige Handelsverträge auszuwirken? Ueberall, wo billige Verträge dieser Art abgeschlossen wurden, hatte die gedrückte Nation den Druck zuvor mit Gegendruck erwiedert. Wo einmal der natürliche Lauf der Industrie durch feindliche Dämme abgeleitet wird, da muß man zu gleichen Maßregeln schreiten, um den schlimmen Einwirkungen derselben zu begegnen, oder um den Feind zu billigen Verträgen zu nöthigen, und allein auf diesem Weg kann man zur Welthandelsfreiheit gelangen, wodurch einzig nur die höchste Stufe menschlichen Wohlstands erreichbar scheint.... Europa wird einen Handelscongreß zu-