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Zum Gedächtnis Friedrich Lists.
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Grundgedanken dahin bezeichnet, daß es ihm nur um die Mittel zu thun sei, die Nation zu erziehen, bis sie mit gleichen Rechten den übrigen Nationen an die Seite trete, damit dann der Morgen anbrechen könne, der den freien unge­hemmten Verkehr aller Völker eröffne, Irren wir nicht, so witterten die heu­tigen Schutzzöllner, daß sie nichts Ungeschickteres thun könnten, als sich auf ihren einstigen Vorkämpfer zu berufen. Für jedes Wort, das sie zu ihren Zwecken aus ihrem Evangelium entlehnten, würden sie mit einem analogen von derselben Autorität geschlagen. Es lag überhaupt etwas Zwiespältiges schon in seinem ganzen Wesen, in seiner Persönlichkeit, und die Summe seines Lebens zu ziehen ist selbst heute, nachdem siebzehn Jahre über seinem Grabe hingegan­gen sind, keine so einsacke Sache. Eine Reihe von Widersprüchen fand- sich in ihm zusammen, die nicht zu harmonischer Ausgleichung zu gelangen ver­mochten, Widersprüche, welche von seiner ursprünglichen, Anlage, die mit dem schroffen eigensinnigen Reichsstädter zugleich den selbstverläugnendcn patriotischen Idealisten, einen weiten staatsmännischen Blick mit einseitigem Sichfestbohren ins Einzelne verband, sich unschwer verfolgen lassen bis in die letzten Prin­cipien seiner Wirksamkeit; Widersprüche, die vielleicht mehr als der angebliche Nichterfolg seiner Bestrebungen denn im Ganzen kann von diesem doch nicht die Rede sein an der Zertrümmerung dieser riesigen Lebenskraft gear­beitet haben.

Und doch ist es wieder eben diese Zwiespältigkeit seines Wesens, die ihn zu dem gemacht hat, was er mit Fug genannt werden darf, zu einem Reformator des wirthschaftlichen Lebens unserer Nation. Allzueifrige Freunde haben ihn seiner­seits mir Luther verglichen. Wir nehmen den Vergleich, da er einmal gemacht ist, auf; denn er enthält einen ganz richtigen Gesichtspunkt für Friedrich Lists Beurtheilung. Wie die historische Bedeutung des Mönchs aus Eisleben Nie­mand in seiner dogmatischen Polemik finden wird, und das großartige Denk­mal zu Worms nicht um deswillen ihm errichtet werden soll, weil er der Urheber dieses oder jenes Glaubenssatzes war, so liegt auch die Bedeutung unsers wirthschaftlichen Reformators nicht in seinen dogmatischen Verdiensten um die Wissenschaft, nicht in den Theorien, in deren Kreis er sich schließlich selber festbannte. Luthers Dogmen haben für uns nur noch historische Be­deutung, sie sind längst überholt durch neue Entwicklungen des Geistes, die sich nicht darum kümmern, ob ein verknöcherter Buchstabcndienst sie anerkennt oder nicht. Aber eben diese neuen Entwicklungen zu begreifen als hervor­gegangen aus der großen Lebensthat des Reformators, die trotz den Schranken, die sie augenblicklich sich selbst gesetzt, unendlich ist in der Reihe der Wirkungen, die von ihr ausgehen, und einen Wendepunkt zweier Weltalter bezeichnet dies heißt dem Werke Luthers in seiner historischen Größe gerecht werden. Und so sind denn Lists nationalökonomische Theorien längst durch die Wissenschaft

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