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was bei der starken liberalen Strömung der europäischen Politik allein Scheu und Achtung einflößt, eine glühende, in Fluß gesetzte Volkstraft. Wir meinen, keiner der leitende» Staatsmänner Oestreichs kann sich so verblenden, nach dieser Richtung Hoffnungen zu haben.
Denn auch diejenigen irren, welche die Verhältnisse, in denen der Kaiserstaat zu den großen Mächten des Auslandes steht, für so sicher und wohl begründet halten, daß dieser Staat jetzt allerdings in der Lage sei, in Deutschland etwas Großes zu wage».
Die freundliche Annäherung Frankreichs in der Polnischen Angelegenheit ist mehr als ausgewogen durch den letzten Ministcrwechscl in Frankreich und die populäre italienische Politik des Kaisers, welche derselbe seinem Volk als Concession für di« letzten Wahlen in Aussicht gestellt hat. Auch die polnische Frage bietet keine Garantie mehr, daß Oestreich, England und Frankreich noch lange im Einverständnis; neben einander fortgehen weiden. Bereits ist in England die Reaction eingetreten; wenn Rußland, wie es scheint, die Klugheit hat, auf die sechs Punkte der Vermittler einzugehen, so ist nicht mehr unwahrscheinlich, daß die polnische Frage durch diplomatische Verhandlungen gelöst wird. Ob dann eine aufbrennende Kriegslust Frankreichs sich 'gegen Preußen oder gegen das italienische Oestreich wendet, ist in diesem Augenblick durchaus nicht vorherzusagcn. Aber es ist gar nicht unmöglich, daß Oestreich eher der prenßischen Hilfe, als Preußen der östreichischen bedarf. Die lauernde und gespannte Haltung, welche fast sämmtliche Großmächte Europas zu einander einnehmen, ist gerade jctzt so auffallend, daß die Möglichkeit neuer Combinationen von deu Regierungen wie von den Völkern bereits mit Spannung erwartet wird. Und kaum hat ee eine Zeit in Europa gegeben, in welcher das Seltsamste so möglich war und das Fremdartigste so schnell eintreten konnte als jctzt. Sogar die innern Zustände Preußens tragen dazu bei, feste Alliancen zu verhindern. Wenn die VcrfassungMmpfc dicscs Staates, wie immerhin denkbar ist, im Laufe dieses Jahres größeren Unisang gewinnen, uud das preußische Volk in Vertheidigung seiner Ncchte sich Respect und warme Sympathien Europas gewinnt, so wird diesem Staat etwas von der Schonung und Scheu zu TKeil werden, womit man auch in der Politik gegenwärtig dergleichen heftige innere EntwickelungSkrankheiten eines großen Organismus betrachtet. Und es mag nicht Herrn v. Bismarck, aber dem preußischen Volke gelingen, drohende auswärtige Conflicte von diesem Staate fern zu halten; eine Hoffnung, welcher die Preußen allerdings nicht zu viel vertrauen sollet'.
Wir glauben nicht, daß ein Ocstreichcr. welcher warm an der Idee seines Staates hängt, uud unbefangen auf Deutschland uud die fremden Staaten blickt, sich den Gründen, welche hier angeführt wurden, entziehen kann. Und deshalb wird hier die Ueberzeugung ausgesprochen, daß die Reformpläne Oestreichs, wenn sie bei der seit Mitte Juni d. I.. seit der Reise des Herzogs von Cvburg, veränderten politischen Situatiou überhaupt noch vorgelegt werden, nur die Absicht haben können, guten Willen zu zeige» und ein etwa gegebenes Versprechen zu erfüllen, daß aber ihre Rcalifirung gegenwärtig bereits ebensowenig im wahren Interesse Oestreichs als des deutschen Volkes liegt.
Verantwortlicher Redacteur: Or. Morijz Busch. Vorlag von F. L. Her big. — Druck von C. E. Etbcrl in Leipzig.