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Die Diaspora der Juden.
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Juden, wobei nur die gerechnet sind, welche unter türkischen Gesetzen stehen. Sie wohnen in der ganzen Stadt zerstreut, besonders aber in den Vorstädten Balat und Chasköi. Man trifft einige sehr reiche Kaufleute unter ihnen, die Meisten aber befinden sich in dürftigen Verhältnissen. In sehr großer Zahl Handwerker. zeigen sie Vorliebe besonders für das Gewerbe des Klempners und des Buchbinders, gegen 900 sind Fischer, gegen 700 Barbiere, gegen 600 Gast­wirthe, je 500 widmen sich den Beschäftigungen von Schneidern, Musikanten, Pvsamcntirern und Aerzten, über 400 sind Nagclschmiede, Die große Mehrzahl sind Sephardim und ihrer Sekte nach Nabbanitcn, d. h. Anhänger des Talmud. Karaiten, die wie die Sadducäer die Tradition verwerfen, und mit den übrigen Juden keinen Verkehr unterhalten, finden sich in Konstantinopcl etwa 250.

Ebenfalls sehr starke Judengemeinden bestehen in Adricmopcl, in Brussa, in Salvnik und in Smyrna. Die letztgenannte Stadt hat unter ihren 120,000 Einwohnern nicht weniger als 15,000 Jsraelitcn, die aus dem Südeu und Westen eingewandert, seit nahezu dreihundert Jahren eine Gemeinde nach sephare- discbem Ritus bilden und unter einander sich der spanischen Sprache bedienen. In Brussa leben circa 1,600 Juden spaniscber Abstammung,, die größtcntheils Seidenweber, Pvsamentirer und Blcchschmiede sind. Verhältnißmäßig die meisten Juden unter allen Städten der Türkei hat Salonik in Macedonicn, indem es deren bei einer Gesammteinwohnerzahl von circa 80,000 Seelen gegen 18,000 aufweist. Dieselben leben nichi wie in den vorhin genannten Städten vor­wiegend von Handwerken, sondern von Handelsgeschäften und sind großcnthcils in sehr dürftigen Umständen. Ihr Ritus und ihre Sprache sind spanisch. Eine, eigenthümliche Erscheinung unter ihnen sind die Manimi oder Minim, die dem äußern Auftreten nach als Mohammedaner erscheinen und auch die Vorrechte der Moslemin genießen, aber insgeheim jüdischem Glauben und Brauch hul­digen und die man für Reste der Sekte hält, welche der Pseudomessias Saba- tai Zcbi, ein Jude von Smyrna. in der zweiten Hälfte des siebzchnrcn Jahr­hunderts stiftete. Sie zerfallen in drei verschiedene Gemeinden, die sich gegen­seitig ebenso hassen und befehden wie die Moslemin und die eigentlichen Juden. Zwei von diesen Gemeinden oder Sekten unterscheiden sich durch ihre Namen; sie nennen sich, vermuthlich nach ihren Gründern, Cavagliervs und Cognos. Die letztere studirt besonders fleißig jüdische Schriften uud hegt namentlich vor dem Buche Zoar, große Verehrung. Sie heirathen nur unter einander, ent­halten sich des Weineö und aller berauschenden Getränke, bewahrm streng ihre religiösen Geheimnisse und strafen solche, die sich des Ausplauverns derselben schuldig machen, dem Vernehmen nach mit dem Tode. Der Oberrabbiner von Salonik dehnt seine Macht auch auf die kleinern Nachbargemcindcn von Seres Belolia und Donau Skopia, ja bis nach Larissa, Trikala und Janina aus, in weichen Orten ebenfalls zahlreiche Juden angesiedelt sind.

Grenzboten III, 18S3. 9