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Bilder aus der russischen Gesellschaft. 2. : Schriftsteller und Journale.
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land streng verboten sind. Wir sehen, Herr Herzen hat einen wunderlichen Begriff von der Freiheit. Er meint, daß England nicht frei, und was noch seltsamer, daß'Amerika frei ist. Sicher könnte er in den Vereinigten Staaten seineGlocke" und seinenPolarstern" herausgeben, so lange er sich auf die Vergötterung der Häupter der Verschwörung von 1825 (deren Porträts, den Umschlag desPolarsterns" schmücken) oder darauf beschränkte, die Minister des jetzigen Kaisers mit Nennung ihrer Namen der Absicht, ihren Souverain zu ermorden, anzuklagen. Vielleicht auch würde man ihm gestatten seine Artikel über die Befreiung der Leibeigenen drucken zu lassen. Aber sage er in einem der südlichen Staaten auch nur ein Wort von der Befreiung der amerikanischen Sklaven, und er wird sehr wahrscheinlich finden, daß der freieste Fleck in Ame­rika das Deck eines nach England bestimmten Schiffes ist. Herr Herzen macht sich die vollständige Freiheit, die hier zu Lande allen Schriftstellern gelassen ist, in maßloser Weise zu Nutze. Er schreibt in der That wie jemand, der nicht daran gewöhnt ist, zu sagen, was er mag, wie ein freigewordener Sklave, wie ein Parvenu der Freiheit."

Wir halten dieses Urtheil für durchaus begründet, zumal da Edwards an andern Stellen den im Allgemeinen guten Willen und die mannichfachen Ver­dienste des hier Getadelten anerkennt. Die Flüchtlingsliteratur ist in der Regel von beschränktem Werth, und plötzlich freigewordene Menschen reden und thun Wie plötzlich befreite Völker selten etwas nach den Grundsätzen der Billigkeit. Der Verstand wird von dem Gefühl, die Erfahrung von der Stimmung über­wuchert.

Dazu aber kommt bei Herzen noch ein auffallender Widerspruch, der durch alle seine Schriften geht, dem man in der Unterhaltung mit der Mehrzahl der Jungrussen" begegnet, und der auch unserm Berichterstatter nicht entgangen ist.Herrn Herzen," sagt er,passirt es häufig, daß er an der einen Stelle klagt, wie Europa von Rußland weniger wisse, als Cäsar vor seinem Einbruch in Gallien von den Galliern gewußt habe, dann an einer andern uns (wie der selige O'Connell von den Jrländern) versichert, daß der russische Bauer der beste von der Welt' sei. uns begeistert die russischen Dichter preist, uns die glühende Strebsamkeit der studircnden Jugend in Moskau rühmt, und dann wieder mit augenscheinlichem Behagen die Bauern als Mordbrenner darstellt, auf die Zahl der von ihren Leibeignen ermordeten Leibhcrren hinweist (die er sehr übertreibt), den Kaiser Nicolaus als Mörder von Leuten anklagt, denen er nur Gutes gethan, kurz so eifrig und erfolgreich Alles was guk in Rußland verhüllt, Alles was schlecht in den Vordergrund schiebt und sogar vergrößert. Die Folge »st. daß der Leser (natürlich nm der mit kritischem Blick) sich geneigt fühlt, dem Himmel zu danken, daß er in der That so wenig von dem Lande weiß, und daß wir uns sagen, wie Cäsar die Gallier erst kennen lernte als er