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gen Sinn geschrieben sind, oder irgend etwas gegen die Wahrheiten der christ^ liehen Religion enthalten oder gegen die gute Sitte und Moralität verstoßen; alle Publicationen mit der Tendenz, die Unverletzbarkeit der autokratisch-monar chisehen Gewalt und die Grundgesetze des Reichs zu bekämpfen oder die der kaiserlichen Familie gebührende Ehrfurcht zu vermindern, alle Preßerzeugnisse, die Angriffe auf die Ehre und den guten Ruf irgend Jemandes enthalten, indem sie entweder unschickliche Ausdrücke brauchen oder Umstände mittheilen, die sich auf das Familienleben beziehen oder überhaupt irgend welche Verläumdung aussprcchen".
Man sieht, die russische Censur ist in der Theorie nicht schlimmer als die Nachcensur, welche die Polizei, mit Ausnahme Preußens, in Deutschland übt. Alles kommt auf die Censoren an, und diese haben unter dem jetzigen Kaiser ein verschiedenes Amtsgcwissen. Als im Januar 1357 die „Times" einen Brief Nussells aus Tula brachte, in welchem behauptet und. was noch schlimmer ist, bewiesen wurde, daß die Feuerwaffen der dortigen Gewehrfabrik viel weniger werth seien, als die von Birmingham und Lüttich, und außerdem von der starken Erschöpfung Rußlands durch den Krieg die Rede war, deckte die Petersburger Censur ein großes schwarzes Leichentuch über die Columne. auf welcher der Artikel stand, wogegen derselbe wie alle andern Berichte Nussells aus Nußland in Moskau unbeschädigt anlangte. Eine andere Nummer der „Times" aus derselben Woche enthielt die berühmte Rede Sir Robert Peels über Nußland, welche nicht nur „der rechtgläubigen griechischen Kirche feindselig" war, sondern auch „die Tendenz hatte, die der kaiserlichen Familie gebührende Ehrfurcht zu vermindern", und die überdies „Angriffe aus die Ehre und den guten Ruf" von mindestens zwei Personen enthielt, von „Verläumdung" ganz zu schweigen. Hier verfuhr der gröbere Petersburger Censor summarisch, indem er die außerordentliche Rede ohne Weiteres mit einem mächtigen Pflaster von Druckerschwärze verdeckte. In Moskau dagegen konnte man sie in „Galignani's Messenger" und den „Jllustrirten London News" lesen, wenn auch zwei kleine Sätze dem Nadir-Instrument verfallen waren. In einem derselben gab der witzige Baronet einen burlesken Bericht über die Kaiserin, wie sie vor der Krönung in der Himmclsahrtskirche nicdcrgekniet, um die Reliquien zu küssen. In dem andern pries er die Gastfreundschaft des Fürsten Orloff und setzte dann kaltblütig hinzu, daß sein freundlicher Wirth einer der Mörder deö Kaisers Paul gewesen — eine offenbare Verwechslung, da der so schwer Bezüchtigte gar nicht zu der alten Familie der Orloff gebörte.
Unter Nikolaus waren selbst Werke wie Macaulay's Geschichte Englands in Nußland verboten und nur den Gelehrten der Universitäten zugänglich, über deren Lectüre die Censur überhaupt keine Gewalt hatte. Jetzt sind alle Haupt- werte der englischen, französischen und deutschen Literatur für jedermann erlaubt,