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in die Routine und die Gewohnheiten einer systematischen Opposition hineingelebt, schwebten also in der augenscheinlichsten Gefahr, auch wider ihren Willen den ausschweifendsten revolutionären Tendenzen dienstbar zu werden: Tendenzen, die sich vielfach nicht blos an die Traditionen von 1^89, sondern auch an die der späteren Revolutionsjahre anknüpften. In Lafayette schien die vergangene Periode noch einmal aufzuleben. Die Gefahr lag nahe, das Streben nach verfassungsmäßiger Freiheit in die revolutionäre Propaganda umschlagen zu sehen. So gering bei den Franzosen das Freiheitsbedürfniß war und ist, so wenig sie geneigt und im Stande sind, sich den unabweislichen Bedingungen des Repräsentativsystems zu fügen: so leicht sind sie doch für eine ehrgeizige Propaganda, wie sie in der großen Revolution von Lafayette ab alle cm's Ruder gelangten Parteien, sei es als Mittel, sei es als Zweck, ausgeübt haben, begeistert. Auch der maaßvollste, besonnenste französische Staatsmann kann nicht umhin, gelegentlich seiner Nation ein Compliment zu sagen über ihre civilisatorische Mission, über ihren Beruf, sich für die Freiheit der Welt zu opfern. Was bei dem Staatsmann eine oft nur beschwichtigende Höflichkeit für die eigene Nation, dabei aber immer eine verletzende Phrase für das Ausland ist, drohte in den durch einen siegreichen Kampf erhitzten Gemütbern einen um so ernsteren Charakter anzunehmen, als an vielen Punkten Europa's ein Zündstoff sich angesammelt hatte, der, so schien es, nur auf den zündenden Funken wartete, um alles Bestehende in die Luft zu sprengen.
So waren die Verbältnisse sehr herausfordernd für eine abenteuerliche, welterschütternde Politik von freilich sehr zweifelhaftem Erfolge. Indeß in dem Wesen der revolutionären Anschauung liegt es, die Chancen des Gelingens und Mißlingens möglichst wenig in Anschlag zu bringen. Anders aber mußte die neue Dynastie, anders mußten die Staatsmänner, welche durch Gründung derselben die revolutionäre Erschütterung zu einem raschen Abschluß zu bringen bemüht gewesen waren, die Sache ansehn, auch wenn sie unter der Herrschaft der beseitigten Dynastie ihr Mißvergnügen über die wirklichen und vermeintlichen Fehler der alten Regierung in leidenschaftlichster, ihre eigenen Grundsätze überschreitender Weise kund gegeben hatten. Ihnen, welches auch ihr Urtheil über die Gefahren eines allgemeinen Krieges sein mochte, konnte es doch nicht entgehen, daß jede das Ausland provocirende Politik nothwendig einen propagandistischen Charakter annehmen, daß aber jede propagandistische Politik sofort den unheilvollsten Rückschlag nach innen ausüben mußte. Denn wie mangelhaft und einseitig das Urtheil der Franzosen über den inneren Zusammenhang der Ereignisse ihrer ersten Revolution auch sein mochte, -— die Thatsache konnte man sich unmöglich verbergen, daß der Krieg vielfach nur ein Mittel in der Hand der vordringenden Parteien gewesen war, um im Innern die Consolidirung geordneter Zustände zu hindern. Und wie