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eine vollere Entwicklung des protestantischen Lehrbegriffs hoffte. Man mußte entweder vorwärts oder zurück. Nachdem unter Maria eine kurze, aber blutige katholische Reaction eingetreten war, entschied sich unter Elisabeth die protestantische Entwicklung Englands.
Diesen Zeitraum, welcher keinem anderen in der englischen Geschichte an universalhistorischer Wichtigkeit nachsteht, hat Froude in dem Werke, dessen Anfang uns vorliegt, zu schildern begonnen. Die ersten beiden Bände reichen vom Sturze Wolsey's (1529) bis zur Hinrichtung der Anna Boleyn (1536). Froude ist der entschiedenste Gegner des Papstthums. Mit allen seinen Sympathien steht er consequent auf der Seite, welche sich von Rom zu entfernen und zu befreien sucht. Doch macht ihn diese entschiedene Partci- stellung nur in seltenen Fällen ungerecht. Froude billigt das Versahren, als dessen Opfer der Bischof Fishcr von Nochester und Sir Thomas More fielen, als eine politische Nothwendigkeit. Aber das hindert ihn nicht daran, ein rührendes Bild der letzten Tage, welche Sir Thomas More im Tower verlebte, zu entwerfen, mit liebevoller Theilnahme die heitere Ruhe zu schildern, mit welcher er ein Märtyrer für se^re Ueberzeugungen wurde. Wenn irgendwo eine wirkliche Parteilichkeit in der Charakteristik hervortritt, so ist sie zu Gunsten des Königs Heinrich des Achten. Froude vergleicht diesen mit dem Schwarzen Prinzen und mit dem Sieger von Agincourt. Alle Tugenden werden auf seinen Scheitel gehäuft. Daß er unerschütterlich gegen die Anmaßungen des Papstthums feststand, hat dem König das Herz Froude's so sehr gewonnen, daß dieser für alle seine kleinen Sünden und Schwächen vollkommen blind wird. Bekannt ist die unanständige Eile, mit der Heinrich der Achte schon am Tage nach Anna Boleyn's Hinrichtung sich wieder mit Johanna Seymour verheirathetc. Froude sieht darin nur einen Beweis der Gewissenhaftigkeit, mit welcher Heinrich seine Pflicht, sür einen Thronerben in England zu sorgen erfüllte.!
Heinrich der Achte war eine reichbegabte, aber zugleich grobsinnliche Natur. Sein Abfall vom Papstthum wird veranlaßt durch die Schwierigkeiten, welche der Papst der gewünschten Scheidung von seiner ersten Gemahlin Katharina von Aragonien entgegensetzte. Aber wie kurzsichtig sind dennoch die, welche die Kirchenreformation in England von der sündlichen Leidenschaft Heinrich's für Anna Boleyn herleiten! Die dies thun, begehen damit nur die gewöhnliche Verwechselung der letzten Veranlassung mit der tiefer liegenden Ursache. Lange vor Heinrich dem Achten war eine reformntorische Bewegung in England vorhanden. Sie beginnt schon im vierzehnten Jahrhundert mit John Wycliffe. durch dessen Lehre bekanntlich später in Böhmen Huß für seine Ne- formbestrebungen erweckt wurde. An Wycliffe schloß sich die Secte der Lol- lards, welche, wenn auch im Laufe des fünfzehnten Jahrhunderts zurückgc-