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Berliner Briefe.
Seite
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boren war, wußte Jedermann von vornherein. So lange man von dem ganzen Komplex des gegenwärtigen Bundesgebiets spricht, kann die Aufgabe immer nur darin bestehen, daß der völkerrechtliche Charakter des Bundes in seiner Reinheit wiederhergestellt und die Kompetenz des Bundes, auf die inneren Angelegenheiten der einzelnen Bundesstaaten einzuwirken, möglichst beschränkt werde. Erst nachdem man sich klar gemacht, daß Oestreich nur dies weitere Bundcsverhältniß erträgt und in den enge- ren Bund gar nicht mit hineingezogen werden kann, ohne auf seine eigenste Natur zu verzichten; erst dann beginnt die Möglichkeit, an eine Bundesreform zu den­ken. Wichtiger und interessanter ist die Frage, wie diese Bundcsreform beschaffen sein, und wie sie durchgeführt werden soll. Graf Bernstorff will einen Bundesstaat innerhalb des Staatenbundes gründen, und will dies auf dem Wege freier Verein­barungen erreichen, für welche Artikel 1t der Bundcsactc eine Handhabe gewährt; für den so zu begründenden engeren Verband soll das militärische Obercommando so wie die diplomatische Vertretung in Einer Hand vereinigt werden. Mit Vergnügen wird man hieraus ersehen, daß Graf Bernstorff von dem Dualismus, auf welchen Herr von Schleinitz sich in der Frage des Oberbefehls über die Bundesarmee bereits zurückgezogen hatte, wieder abgegangen ist. Im Allgemeinen stimmen die positiven Vorschläge des Grafen Bernstorff ziemlich genau mit dem Unionsproject überein. dessen Durchführung Herr von Radowitz im Jahre 1850 vergeblich versuchte. Gras Bernstorff hat damals die vollkommenste Gelegenheit gehabt, sich die Ursachen des Scheiterns klar zu machen. Er wird deshalb hoffentlich nicht in die alten Fehler zurückfallen.

Ein Fortschritt in der deutschen Reformpolitik ist nur möglich in Ver­bindung mit einer liberalen innern Politik. Das gilt heute fo gut wie 1850. Damals schloffen sich die Mittclstaaten an die preußische Unionspolitik an, weil sie der preußischen Hilfe bedurften ; als sie wieder glaubten auf eigenen Füßen stehen zu können, da hatte der Mohr seine Dienste gethan. Durch die Bevölkerungen aber wurden die Regierungen der Mittelstaaten nicht bei dem Bündniß mit Preußen fest­gehalten; denn Herr von Manteuffel hatte keine Attractionskraft. Ohne die Sym­pathie der Bevölkerungen wird Graf Bernstorff jetzt nicht einmal so weit kommen, wie 1850 Herr v. Radowitz. Denn die Regierungen der Mittclstaaten werden frei­willig sich nie zur preußischen Hegemonie bekennen. Bei der völligen Ohnmacht des Bundes gelten die Kleinen nicht viel weniger als die Großen, weil sie alle zusammen nicht viel gelten. Bei einer festen einheitlichen Centralgewalt müßten die Kleinen sich dem Einen Großen unterordnen. Da hierzu die Regierungen der Mittelstaaten nie die Hand reichen werden und doch der Wog der freien Vereinbarung nicht ver­lassen werden soll, so müssen wir, falls nicht durch außerordentliche Ereignisse die Krisis beschleunigt wird, warten, bis die Volksvertretungen der Mittclstaaten einen genügenden Druck ausüben. Das aber werden sie nicht thun, so lange nicht eine liberale Strömung mit größerer Entschiedenheit in Preußen die Oberhand gewinnt. Also: eine durchgreifende Reform des Herrnhauses wäre nicht allein der größte Fort­schritt, den Preußen jetzt in seiner innern Entwicklung machen kann; sie würde zu gleicher Zeit die deutsche Bundesreform wesentlich erleichtern. p