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M<j'Hblg«!>bcS zu erwidern- In der Fortschrittspartei haben sich die entschlosseneren Liberalen mit dem besonnenen, verständigeren Theil der frühere» Demokratie vereinigt. Für die Letzteren ist das Ziel, welches sie jetzt angeben , ohne Zweifel nur eine Station auf dem Wege, welchen sie später weiter verfolgen wollen. Aber dadurch brauchen wir uns jetzt nickt irre machen zu lassen. Ein Abgeordnetenhaus hat nicht die Aufgabe, über die letzten Zwecke des Staats zu philosophiern, sondern die nächsten Aufgaben praktisch zu lösen. Was ein Abgeordneter über die platonische Republik denkt, ist mir sehr gleichgültig, wenn ich nur weiß, was er über die guts- licrrlichc Polizei oder über die Gewcrbcfreihcit denkt. So lange nur die Fortschrittspartei diejenigen Fragen, welckc nns von ihr trennen könnten, von der Hand weist, können wir für'die Erreichung unserer eigenen Zwecke uns ihre Unterstützung gerne gefallen lassen/ Aus diesem Gründe hat die Fortschrittspartei mit Recht die thörichte Agitation zurückgewiesen, welche der sogenannte volksthümliche Wahlvcrcin, die Herren Streckfuß und Hübner, für das allgemeine gleiche Wahlrecht in Gang zn bringen versuchten. Thöricht war diese Agitation deshalb, weil sie in diesem Augenblicke gar keinen praktischen Erfvlg haben, weil sie nur dazu dienen konnte, natürliche Bundesgenossen, die sich vor allen Dingen gegen einen gemeinsamen Gegner verständigen müssen, zu entzweien. Das gegenseitige Verhältniß kann in Zukunft einmal ganz anders liegen ; für jetzt müssen die feineren Nüanccu der Meinungsverschiedenheit gegenüber der gemeinsamen Gefahr verschwinden.
Wir kennen nach alledem nur eine vernünftige Parole für die liberale Bevölkerung des Landes. Wo sich in einem Wahlkreis die Reaction in einer ganz ungefährlichen Minorität befindet, da mögen die beiden liberalen Fractioncn sich in ehrlichem Kampfe mit einander messen. Aber überall, wo sie durch ihren Zwiespalt der Sicaetion zum Siege verhelfen lömiien, tci- müssen, sie einen Compromiß mit einander schließen. Leider wird diese Nothwendigkeit nicht überall erkannt. Hie nnd da treten Spaltungen hervor. Die Ursachen sind mannigfacher Art. An Manchen Stellen kann man sich von den Reminiscenzen an frühere Kämpfe, die unter ganz anderen Verhältnissen unseres Verfassungslebcns stattfanden, und von der daraus hervorgegangen«, Verbitterung nicht frei machen. Bei den eigentlichen Coustitutwncllcn zeigt sich zuweilen eine gewisse doctrmäre Starrheit, Dagegen hätte die Fortschrittspartei gewiß besser gethan, aus ihrer» Programm den Vorwurf gegen die bisherige Majorität des Abgeordnetenhauses, daß sie sich „den inneren Schwierigkeiten nicht gewachsen gezeigt habe", fortzulassen. Auch vergißt man den Boden der Koalition, aus dem man doch stehen will, wenn z. B. in einer sich zum Fortschrittsprogramm bekennenden Urwählcrversammlung des ersten Berliner Wahlbezirks ein Mann wie Kühne verworfen wird, der unter Mantcuffel in seiner Verfassungstreue nie. gewankt hat und der die erste Finanzautoritäl des Landes ist. Fast noch schlimmer ist es, wenn dieselbe Versammlung Herrn Schwarck in die Kandidatenliste aufnimmt, dessen Verhalten bei dein bekannten Verfahren gegen das Gericht zu Ratibor mehr als zweideutig war, nnd der dann Jahre lang mit Hinckeldey und Simons durch Dick und Dünn gegangen ist. Dagegen kann es wenig verschlagen, daß er unter der neuen Acra sich plötzlich an seinen Beruf als Oberstaatsanwalt ^ die Vcrtheidiguug des Gesetzes gegen die ungesetzliche Willkür der Polizei — erinnerte, und daß er sich durch sein Plcndoyer gegen Stieber in das Renommee der Freisinnigteit zu bringen suchte. In solchen Vorkommnissen zeigt sich die Vergeßlichkeit der Massen, welche die Wahlmänner werden' zu corrigircn haben.
Unterdessen hat das Ministerium das Messer an den eigentlichen Krebsschaden unscrcs Staats, an das Herrenhaus angesetzt. Nur hätte, nm die Kur erfolgreich Zu macheu, das Messer Noch bedeutend tiefer schneiden müssen. Wir spreche» von dcm Erlaß vom 5. d. M., durch welchen das Reglement über die Wahl der für den alten und für den befestigten Grundbesitz zu präscutireuden Mitglieder des Herren-