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Menschen), einfache Situationen ästhetischer Beschäftigung oder ruhigen Selbstgenusses, in denen das Individuum mit seinem ganzen Lebensfond bei der Sache ist. In der Zusammenstimmung des Locals mit den Personen, in der Wahrheit der Bewegung, des Ausdrucks, in der Sicherheit der Form- und Farbengebung, endlich in der miniaturartigen Ausführung sind die Sachen unübertrefflich; aber es fehlt den Gestalten doch die Lebenstiefe, die innere Seelenfreude, die allein das Genrebild zum absoluten Kunstwerk erhebt. Seine Figuren sehen doch aus, wie wenn sie um den Beschauer wüßten und nun. wie wenn nichts wäre, mit möglichster Unbefangenheit Alles aufböten, um sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Daß sich Meissonnier an die gezierten Menschen des 18. Jahrhunderts wendet, zeigt eben, daß es seiner Kunst selber an jener Lebenstiefe fehlt. Meissonnier hat mit der feinen Eleganz seiner Cabinetsbilder eine Geschmacksrichtung des Zeitalters getroffen und fand daher eine ziemliche Anzahl Nachahmer: Chavet, Plassan, Fauvelet — der indessen seine Vorwürfe meist der neuern Zeit entnimmt — Hadomard, Ruiperez. Keiner kommt dem Meister gleich. Eugene Fichel malt in derselben Weise heitere gesellschaftliche Scenen des 18. Jahrhunderts von größerer Ausdehnung ohne allen Humor. Joseph Caraud und Alphonse Roehn stellen die Rococo- zeit in größerem Maßstabe mit ziemlicher Fertigkeit dar. ohne es weiter als zu ausdruckslosen Costümbildern zu bringen.
Fühlt sich der Künstler durch die Armuth und Nüchternheit der gegenwärtigen Culturformen und durch die mürrische Knappheit, die selbst den Freuden unserer Zeit anklebt, in die Vergangenheit zurückgetrieben: so ist es wol derselbe Mangel, der ihn in den Werken der Dichter nach Vorwürfen suchen heißt, die sich allenfalls von der bildenden Phantasie gestalten lassen. Es ist immer mißlich, wenn sich die eine Kunst aus der andern die Stoffe holt, weil sie dieselben von ihr schon halb zubereitet empfängt; es zeugt von einem gewissen Unvermögen des innern Schaffens und vermehrt die Trägheit, weil mit den Gestalten, die dem Dichter eigenthümlich angehören — und dies ist in der modernen Poesie der Fall — sich nicht nach Belieben umspringen läßt. Schon die Romantik hatte, um stärker auf die Phantasie zu wnken, dieses Entlehnungssystem angefangen, und in neuester Zeit wimmelt es geradezu von Darstellungen nach neueren Dichtern. So lassen sich Herman Bohn und Duval le Camus (der Jüngere) ihre Motive gerne von Shakespeare geben; der Erstere bringt es nicht zum Fluß des Gestaltens. der Zweite verflüchtigt das Bild des Poeten in phantastische Nebel. Von Dor6's Dante 'st schon die Rede gewesen. Andere suchen sich haarsträubende Greuelmomente, bei denen nicht einmal der Gedanke verweilen mag. bei Victor Hugo. Besondere Gnade aber hat jetzt der Goethe'sche Faust vor den Augen der französischen Genremaler gefunden. So hat neuerdings Tissot Gretchen und