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Die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich. 10. : Die Zersplitterung der Genremalerei. Der neueste Realismus. Die Landschaft.
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an die Stelle der in die Geschichte eingezeichneten Individuen das Thun und Leiden der Gattung tritt. Zugleich wird das Leben der großen Künstler und Dichter, der Verfechter der geistigen Entwicklung in noch größerer Ausdehnung als bisher Gegenstand der Malerei; Hand in Hand mit der Zeitrichtung, welche ein tieferes Verständniß der Kunstwerke durch das Eindringen in die Privatexistenz ihrer Urheber zu erreichen sucht. In immer weiteren Kreisen umfaßt die Kunst die vergangene Wirtlichkeit, und in gleichem Maaße fortschrei­tend tritt die Zersplitterung ein, von der früher die Rede gewesen: seit De- laroche hat sich die Malerei nicht wieder in einer großen Kraft zur Spitze zusammengefaßt. Zugleich schwindet immer mehr das Interesse für den In­halt der Stoffe: die malerische Erscheinung, die Wahrheit der äußeren Be­wegung, der Reichthum des farbigen Lebens wird zur Hauptsache, und der Ge­genstand ist der beste, welcher der gewandten und kundigen Hand des Künst­lers das freieste Spiel läßt.,, .> ,,.,ji,z^.".,.

In den dreißiger und vierziger Jahren wirkt die Nomantik noch fort; es fehlt nicht an friedlichen Scenen, aber noch sind das Erschütternde und Furcht­bare, Gräuclmomente, Kerker, Marter und Tod an der Tagesordnung. Nach einer Reihe älterer, nun schon halb verschollener Namen zu den bekannte­sten gehören Saint-Evre und Monvoisin tritt eine zweite Generation auf, die sich um Delaroche gruppirt; sie sucht ihren Darstellungen eine größere Freiheit der Bewegung, Schärfe des Ausdrucks, tiefere Wärme der Farbe zu geben. Voran Nicolas Ro dert-Fleury (sein bestes Bild im Luxemburg: 1.6 colloauc <1e koiss^). In der Scene aus der Bartholomäusnacht und der zur öffentlichen Buße verurtheiltcn Jane Shore ist es auf eine grelle Wirkung abgesehen, die dann auch durch eine talentvolle und energische Ausführung zum Theil erreicht wird. Es ist mit derartigen Bildern ein ähnlicher Fall wie mit den Romanen von Suc und Dumas: die Phantasie wird künstlich erhitzt und durch die täuschende Wahrhcit der äußern Realität in einer unfreien Spannung erhalten. Ein milderes, aber weniger hervorstechendes Talent ist Fieury's Schüler: Charles Comte (bekanntestes Wert: Heinrich III. und der Herzog von Guise); ibm ist es schon weniger um ergreisenden Ausdruck, als die bunte Pracht vergangener Jahrhunderte zu thun. An sie schließt sich Claudius Jacquand aus der alten Lyoner Schule: matt und gezwungen, wo er eine Empfindung ausdrücken will, ziemlich geschickt in dem malerischen Durcheinander der Geräthe, in der Bewegung noch in der Steifheit der früheren historischen Kunst befangen.

Wohl tritt nun im geschichtlichen Sittenbilde das Häßliche immer mehr zurück, das die Nomantik grell in ihre Bilder hineingestellt hatte, ohne es in den Fluß des bcziehungsreichen Lebens aufzulösen, in welchem es durch das Schöne sich ergänzt. Aber zugleich drängt sich auch der blos malerische