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Der Ultramontanismus.
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minder der herrschenden Freiheitsliebe huldigen, steht das Stichwort: Freiheit der Kirche obenan. Die Ultramontanen, denen jedes Mittel recht ist. welches zum Zwecke führt, stimmten in den allgemeinen Ruf nach Freiheit ein und be­gehrten die Freiheit auch für sich. d. h. für die Kirche. Da aber nach römi­schen Begriffen der Träger der Kirche unzweifelhaft die Hierarchie ist. so beißt Freiheit der Kirche im ultramontanen Munde nichts Anderes als Bevollmäch­tigung der Hierarchie, nach Gutdünken über ihre Untergebenen zu verfügen. Wir reden hier nicht von der Beeinträchtigung, welche dadurch der Staat und die evangelische Kirche erleiden. Uns kommt es hauptsächlich auf drc Beeinträchtigung an. welche den Katholiken selbst widerfährt. Indem der Staat die Kirche frei macht, hebt er die Gewissensfreiheit der Katholiken auf. da er ihnen den Schutz gegen hierarchische Verfolgungen entzieht, den der Staat seinen Bürgern schuldig ist.

Im Eifer dieses Freiheitsstrebens sind von mehreren deutschen Staaten Concordate abgeschlossen, die wie alle Concordate darauf ausgehen, das Auf­sichtsrecht des Staats über das Kirchenregiment entweder aufzuheben oder möglichst einzuschränken, und einen Staat im Staate einzurichten, dessen eigent­liches Oberhaupt in Rom residirt.

Am berühmtesten ist das östreichische Concordat: es ist diejenige Hand­lung der östreichischen Regierung, durch welche sie zuerst Europa enttäuschte und ihm nachwies, daß Oestreich nicht vorwärts, sondern rückwärts gegangen sei. Der allgemeine Unwille, den diese Maßregel im östreichischen Volk er­regte, schien es im höchsten Grade unwahrscheinlich zu machen, daß andere Regierungen diesem Beispiel folgen würden; und doch ist es sogar von pro­testantischen Negierungen geschehen: so geschickt weiß Rom jede Zeitströmung für sich auszubeuten.

Glücklicherweise ist das Unheil, welches das Concordat über das süd­westliche Deutschland verbreitet haben würde, durch den einmüthigcn Wider- stand der Bevölkerung abgewendet worden, und die gegenwärtige Bewegung in Oestreich wird voraussichtlich zu demselben Ziele führen. Oestreich muß um jeden Preis mit seinen Völkern Frieden schließen, und es ist nicht mehr daran zu zweifeln, daß diesem Frieden das Concordat zum Opfer fallen muß. Von den Vortheilen, die sich die Regierung versprach, ist keiner eingetroffen, und die Finanznoth wird mit unerbittlicher Nothwendigkeit zu Maßregeln drängen, die mit dem Concordat unvereinbar sind.

Es wird vielleicht Vielen nicht mehr erinnerlich sein, daß wir uns in Preu­ßen gleichfalls eines Concordats erfreuen, welches in den dreißiger Iahren zu sehr bedenklichen Conflicten geführt und neuerdings die Bildung einer politischen Partei begünstigt hat, welche, wenn nicht geradezu feindlich gegen Preußen gesinnt ist, doch wenigstens ihre staatlichen und bürgerlichen Pflichten alls-