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Alliirten bezeichnete, so war ihm eine selbständige Stellung möglich, die es in den Stand setzte. Forderungen Frankreichs zu verweigern. Aber eine solche Politik erheischte freilich, daß man sich über legitimistische Sympathien und Vorurtheile hinwegsetzte und nur nach dem Interesse des Staates handelte. Dazu aber war man in Berlin nicht geneigt. Das liberale Ministerium, das sich in Deutschland isolirt. Oestreich wie England entfremdet fühlte, suchte vielmehr einen Stützpunkt in Rußland, das vornehmlich dahin gewirkt, Preußen von einer entschiednen Action im vorigen Sommer zurückzuhalten. Fürst Gortschakofs, dem es sehr willkommen war Preußen auf diese Weise von England entfernt zu halten, kam bereitwillig entgegen. Der Besuch des Kaisers Alexander in Breslau ward verabredet, um den Mittelstaaten, bei denen die Ansichten des Petersburger Cabinets doch immer ein gewisses Gewicht behielten, zu zeigen, daß dasselbe mit dem Berliner einverstanden sei. Von wie geringem praktischen Werthe diese Demonstration war, sollte sich bald genug zeigen. Während die unfruchtbaren Verhandlungen über den Züricher Frieden sich von Woche zu Woche hinzogen, waren die Dinge in Italien ihren Weg gegangen. Die vertriebenen Fürsten waren nicht zurückgekehrt, vielmehr die Annexion ihrer Länder an Sardinien unter Begünstigung von England thatsächlich vollzogen. Napoleon sah mit seinem richtigen Tacte, daß dergleichen Dinge nicht ungeschehen zu machen seien, und während noch über den Congreß hin- und hergeschrieben ward, bereitete er bereits eine neue Wendung vor. Um Weihnacht erschien die zweite kaiserliche Flugschrift rn der italienischen Frage „der Papst und der Congreß". Graf Walewski trat zurück, in Turin ergriff Graf Cavour wieder das Nuder. der englisch-französische Handelsvertrag kam zu Stande. Nizza und Savoyen wurden abgetreten. Wir wollen die Geschichte der bewegten ersten Monate dieses Jahres hier nicht erzählen, sie ist frisch in aller Erinnerung, wir wollen nur fragen: wie stellte sich die Politik Preußens zu diesen folgenschweren Ereignissen? und müssen sagen: sie verharrte in ihrer Unthätigkeit und Unfruchtbarkeit. Es wurden zwar Vorsätze gefaßt und Ansätze genommen, aber gethan wurde nicht das Mindeste. Die Motivirung des Anspruchs auf Savoyen und Nizza in Napoleons Thronrede, namentlich die verschleierte Forderung der natürlichen Grenzen mußte der Regierung, welche der Wächter des Rheins sein soll, die ernstesten Besorgnisse einflößen. Es gab einer solchen drohenden Thatsache gegenüber nur zwei Wege des Verhaltens : entweder ihre Ausführung mußte thatkräftig verhindert werden oder man mußte, wenn man dies für unmöglich hielt, sie Paralysiren, indem man sich durch ein Gegcnzu- geständniß schadlos zu halten suchte. Beide Wege waren möglich. Vielleicht wird man geneigt sein, dies von dem ersten zu verneinen; und allerdings war der größte Fehler schon begangen, indem man Sardiniens Jsolirung zuließ, durch die Cavour außer Stand gesetzt war, die kategorischen Forderungen Frank-