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Roger Bacon.
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sie ihre Weisheit hergenommen, als von den heidnischen Philosophen? Bacon behanptet ohne alles Bedenken, daß wir ohne das Studium der Philosophie keiue echten Christe» und auch feine so tugendhaften Menschen sein tonnen, als die heidnischen Philosophen ohne Kenntniß der Bibel waren, (z. B. S. 50) Denn," fügt er an einer andern Stelle hinzu,die ganze Natur, materielle sowol als geistige, vom höchsten Himmel bis zu den Tiefen der Erde, bildet den Gegenstand der heiligen Schrift; und da es das Wert der Philosophie ist, die Natur zu erklären, so kann Theologie nur zugleich mit Philosophie verstanden und aufgefaßt werden." (S. 82)Das Wort hat eine wundersame Kraft," heißt es weiter; wenn es indessen unphilosophisch gebraucht wird,sinkt es zu der betrügerischen Kunst von Hexen und Vetteln hinab und hat keine andere Wir­kung, als daß der Teufel sein Spiel treibt." (S. 98).

Wir glauben nicht zu viel zu sagen, wenn wir behaupten, daß die Ge­bildeten im dreizehnten Jahrhundert das Christenthum nur in Verbindung mit classischer Literatur auffaßten. Hatte sich doch der Streit zwischen Abülard und St. Bernhard bereits in denselben Grenzen bewegt. Abälard verwarf nicht die Religion und St. Bernhard war kein Verächter der Philosophie. Bischof Neander will in ihm sogar einen Vorläufer der Reformation mit pau- linischen Tendenzen erkennen. Wir sind anderer Ansicht. Wir glauben, daß Katholiken ganz aufgeklärt sein können, wie sie es damals nicht selten waren, und daß Aufklärung kein Zeichen von Protestantismus ist. Wie dem aber auch sei. der Unterschied zwischen den beiden berühmten Gegnern bestand nur darin, daß St. Bernhard der Theologie und Abälnrd der Philosophie die erste Rolle einräumen wollte. St. Bernhard sagte: Lredo ut iuwUiMm. Denn volles Wissen ist uns in unserem jetzigen Zustande noch unmöglich. Religion ist eine vorläufige Offenbarung, an die wir uns zu halten haben, bis wir in unserer Erkenntniß weiter fortgeschritten sind, und dann die Wahrheit als Wissen erkennen. Abülard im Gegentheile sagte: lutelligo ut erectam, erst begreifen und dann glauben. Denn Reden, die weder der Sprechende noch der Hörer versteht, sind leerer Wortkram, an den Niemand glauben kann, wie viel Mühe er sich auch geben mag. Diese Verschiedenheit der Auffassung hatte sich seitdem nicht erweitert, sondern eher verengt. Wenn wir die sogenannten Realisten im Allgemeinen als die Nachfolger von St. Bernhard ansehen kön­nen, so finden wir, daß sie sich hauptsächlich auf Plato stützen, dessen Jdeenlehre wirklicher,realer" Existenz auch außerhalb der sinnlichen Natur zu sein schien. Die Dogmen der Kirche konnten damals in orthodoxer Weise erklärt werden. Ihre Gegner, die sogenannten Nominalisten, weil sie die allgemeinen Ideen nur fürNomina," für bloße Abstraktionen von der concreten Natur erklärten, hielten sich an Aristoteles, dessen physikalischen Werke ihrer Ansicht besonders entsprachen. Der philosophisch-religiöse Streit innerhalb der Scholastik war in seinen wesent-