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nisten landeinwärts gedrängt wurden, waren auch die menschlichen Elemente so widersprechend, daß Sicilien erst durch die starke Hand Roms zu einer Einheit gebracht werden konnte. Nach der germanischen Völkerwanderung bereicherte die arabische die Mannigfaltigkeit der Volkselemcnte, und gerade die Sarazenenherrschaft trug viel bei zur Erhaltung der sich gegen einander abschließenden Stammeseigcnthümlichkeiten. An deren Stelle trat später, besonders durch die jesuitische Politik Spaniens mit ihrem Grundsatz: Herrsche durch Trennung der Gegner, die Eifersucht der Städte, namentlich Palermos und Messinas. Entscheidend war die Berufung normänichcher Reisigen durch einen Sarazenenfürsten. Aus ihnen ging der sicilianische Adel hervor, der sich dieser seiner Stammverwandtschaft mit dem englischen wohlbewußt ist. Zu Anfang des Jahrhunderts herrschten, abgesehen davon, daß das sicilianische Parlament nur noch ein Schatten von ehedem war. Zustände wie in Ungarn, z. B. das Erstgeburtsrecht, welches die nachgebornen Söhne der Aristokratie zu Bettlern oder Mönchen machte, die Aviticität, der Adelige war gegen seinen bürgerlichen Gläubiger geschützt. Dennoch fanden hier die Ideen der französischen Revolution von allgemeiner Gleichheit keinen Boden, und in der That, der Adel hat es hier nicht verdient, daß man ihm seine Achtung und Theilnahme versage. Derselbe hat sich selbst in seinem Grundwesen, welches unter der dcmoralisircnden spanischen Herrschaft verloren gegangen war. wiedergefunden, seit die Engländer von 1806 an sich auf der Insel fest, setzten und während der acht Jahre ihres Bleibens den Reformbcstrebungcn. welche wesentlich vom Adel ausgingen, hilfreich die Hand boten.
Der Sicilianer will aus seiner Geschichte verstanden, nach dieser behandelt sein. Eben dies macht ihm das Leben unter den geschichtsfeindlichen, burecm- kratisch eigenwilligen Bourbonen unerträglich. Charakteristisch ist, um die sicilianische Art noch etwas näher zu betrachten, die Tiefe und Wärme des sicilianischen Volksliedes, v. Mariens sagt: „Die Sicilianer besitzen in hohem Grade die guten Eigenschaften der Italiener, die Lebhaftigkeit und Beweglichkeit des Geistes, die Leichtigkeit aufzufassen und sich in Vieles zu schicken, die große Gefälligkeit, die Feinheit im geselligen Leben, die ganze Heiterkeit des Daseins. Dagegen wird hier in den Werken des Krieges und Friedens die ausdauernde Beharrlichkeit und Zuverlässigkeit germanischer Völker noch stärker vermißt; glühender ist Liebe und Haß. freier noch ist die von reicher Mimik unterstützte Zunge. Rachlust, Arglist, ungeduldiger Eifer und Proceßsucht sind die schlimmsten Seiten des Sicilianers; wie der Spanier ist er unerschöpflich in Witzen und Sprüchwörtcrn und thut in allen Klassen gern vornehm." In der That, der Stolz des Insulaners ist nirgends ausgebildeter und durch bornirte Gewaltthätigkeit von Seiten Neapels zu außerordentlicher Macht aufgestaut. Daß die gebildeten Klassen Siciliens aber auch ausdauernde
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