L8

Freunden schwer geworden war und weil seine künftige ländliche Abgeschlossen­heit ihm vielleicht eine ungünstige Parallele mit der hinter ihm liegenden ge­selligen Periode vor die Seele führte; ich, weil ich in dem östlichsten Boll­werke deutscher Cultur und Wissenschaft so manche Bresche und Mauerlücke bemerkt hatte und mir das Schicksal dieser noch so jungen Bildungsstätte im Bilde der stattlichen Kirchenruine auf dem Domberge Dorpats vorschwebte, die jetzt ebenfalls nur noch als Rüstkammer für todte Waffen und Schätze der Gelehrsamkeit, als Bibliothekslocal benutzt wird, während sonst das freie Wort des Evangeliums dort züudend die Herzen traf. — Unsere Unterhaltung be­wegte sich um denselben Gegenstand, und was mir mein Livlünder mittheilte, bestätigte nur meine eigenen Erfahrungen. Zwar hat der bisherige Kurator der Universität und aller Schulen der Ostseeprovinzen, der Jnsantcriegeneral von Kassström, welcher, streng diensteifrig den Gamaschendienst der Armee an den Musensitz verpflanzend, die Dressur und das Reglement pedantisch ge­handhabt (selbst die Blumentöpfe im botanischen Garten hatte er nach der Größe geordnet wissen wollen!), seine Untergebenen nur nach dem äußeren Schein beurtheilt und dabei, um seine Sparsamkeit nach oben hin bekunden zu können, wichtige Lehrstühle an der Universität unbesetzt gelassen hatte, das Zeitliche gesegnet. Allein sein Nachfolger, der frühere kiew'sche Kurator von Bradke, setzt das begonnene Werk der Nectisicirung noch wirksamer fort, in­dem er bei höherer Bildungsstufe und größerer Gewandtheit auch die wissen­schaftlichen Leistungen der Docenten argwöhnischer überwacht und bei streng orthodoxer Richtung wenigstens einen regelmüßigen Kirchcnbesuch von Seiten der Studircnden zu erzielen bestrebt ist. Außerdem hat seit einigen Jahren die Berufung ausländischer Professoren (bei der man auch zuweilen wenig wählerisch zu Werke ging) gänzlich aufgehört und man rekrutirt sich aus den dünn gesäeten inländischen Kräften, von welchen dann nicht selten die besten an die Petersburger Akademie der Wissenschaften entrückt werden. An die Stelle des aus der Mitte der Professoren gewählten Ncctors ist seit zehn Jahren ein von der Regierung ernannter Beamter getreten, der keine Vorlesungen hält, ja nicht einmal mehr als den untersten gelehrten Grad (den des graduirtcn Studenten) zu besitze» braucht. Um den Namen einer philosophischen Facultät los zu werden, hat man dieselbe 1850 in zwei besondere Facultäteu, eine „philologisch-historische" und eine „physiko-mathematische" getrennt, ja man hätte schon damals den Lehrstuhl der reiuen Philosophie eingehen lassen, wenn nicht die Ungefährlichkeit der jetzt dort, man kann nicht sagen herrschen' den, sondern: vertretenen philosophischen Richtung vollkommene Beruhiguug gewährte, sintemal dieselbe „weil die Werke der Speculation nicht alle gleich zuverlässig sind und weil gewisse Theile derselben die Grenzen der Fähigkeit des jugendlichen Geistes überschreiten" an die Stelle der speculativen Philo-