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Menschenlebens zu übersehen, steht er den Dingen zu nah, seine Perspektiven sind schief. Als Künstler gehört er zu denen, die weder Anfang, noch Mitte, noch Ende kennen; eine kleine Geschichte fädelt sich an die andere, eine Person tritt ab und wird durch eine andere abgelöst; in dieser Welt herrscht der Zufall mit absoluter Gewalt. Er eutwickelt eine Reihe nicht uninteressanter Bilder, aber kein ganzes Gemälde. Man kann das Buch zumachen, wo man will, und in der That hat Thackeray jetzt die schlechte Manier adoptirt, seine alten Geschichten immer wieder fortzusetzen. Die Virginier sind eine Fortsetzung von Henry Esmond. Es finden beständige Beziehungen statt und namentlich Beatrix spielt wieder eine Hauptrolle, diesmal als siebzigjährige Frau, die im Ganzen noch besser, klüger und angenehmer ist, als viele Andere. Trotz seiner sehr geschickten und feinen Zeichnung ist bei Thackeray die Grundstimmung eine lyrische, sentimentale: thut was ihr wollt, seid was ihr wollt, es kommt alles auf eins heraus. Die Welt ist ein großes Narrenhaus, der Philosoph, der Menschenkenner muß stets mit dem einen Auge weinen, mit dem andern lächeln; ehrenfeste und heroische Männer kommen unter den Pantoffel, liederliche Frauenzimmer haben auch ihre guten Seiten und im allgemeinen lebt man, wie man kann. Die große Popularität Thackerays. die sich nicht blos auf seine meisterhafte Zeichnung, sondern grade auf seine Stimmung bezieht, ist sehr charakteristisch für unsere Zeit, welche die entschiedene Neigung hat, die Dinge von allen Seiten zu erwägen, die Thatsachen anzuerkennen, den Umständen Rechnung zu tragen und wie die Redensarten alle heißen. I. S.
Die Elbzölle.
(Die Elbzölle. Aktenstücke und Nachweise 1814—59. Ncbst einer Einleitung über die Flußschifffahrtsbestimmungcn der Wiener Congrcßakte und die Elbzvllfrage. Leipzig, Brockhaus 1860.) — Das vorliegende Buch wird niemand erfreuen, aber den, der es liest, belehren. Es behandelt eines der traurigsten Capitel des deutschen Partikularismus, die Beeinträchtigung und Niederhaltung des deutschen Verkehrs durch fürstliche Sondcrintercsscn, die deutschen Flußzöllc und Durchgangsabgaben ragen in die Gegenwart wie ein Nest der schlimmen Zeit, in der Unverstand und Willkür wetteiferten, unserm Vatcrlandc die Gottcsgabc seiner herrlichen, schiffbaren Ströme künstlich zu verderben. Von 1669 bis 1858 finden wir dasselbe Schauspiel von Commissionen und Conscrcnzen-, die monatelang tagen und Protokolliren, die dringlichsten Klagen des Verkehrs s.ä acta, nehmen und nichts oder wenig verbessern. Es kommt immer auf das Ergebniß heraus, welches das Thcatrum Europäum von der Elb- commission des Jahres 1669 berichtet: „Darauf sie allerseits von einander gereiset, mit dem schließlichen Verlaß, daß derselben allerseits gnädigste Principalen sich inner