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Neurussische Städte. 1. : Nicolajeff.
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wackerer Jungen gesegnet war, steuerte auf einen solchen Posten los, wie mir seine liebenswürdige Frau im besten Französisch erzählte. Mit ihm selber gestaltete sich die Unterhaltung äußerst einsilbig, er verstand kein Wort einer fremden Sprache und ich sehr wenig Russisch. Ein leidenschaftlicher Raucher, verfertigte er den ganzen Tag für mich Papyros und weihte mich in das Ge­heimniß der wohlfeilsten Cigarrenröhren ein, die aus einem Stück Schilfrohr bestehen und hier sehr im Gebrauch sind. Der gute Mann hatte einen un­begreiflichen Fehler: er konnte keinen Wein trinken; wie es schien der Aus­gleichung halber war er einem kräftigen Schnapse, auch mehreren, durchaus nicht abhold, und eine seiner Lieblingsbeschäftigungen bestand in der Zusam­menstellung derartiger Mixturen aus allen möglichen Kräutern, Früchten und Gewürzen. Ich sehe ihn noch mir gegenüber sitzen, mit dem apfelrunden, rothen, glänzenden Gesicht, das ein furchtbarer, blonder Schnurrbart in zwei völlig gleiche Theile schied, wie er mit einem schlauen Lächeln der wasserblauen Augen das Gläschen emporhob, mit unnachahmlicher Geschicklichkett dessen Inhalt hinabwarf, es dann wieder füllte und mir hinreichte mit dem unaus­bleiblichen Empfehlungswort-.Karascho!"Karascho." antwortete ich ihm, und so ging das Gläslein, oder wenn man will, das Glas, recht häufig hin und her. Damals ward die deutsche Standhaftigteit auf eine schwere Probe gesetzt; es ist in der Fremde gut, wenn man etwas gelernt hat.

Durch einen Gastfrcund ward es mir ermöglicht, in Nicolajeff vieles zu sehen, was dem Fremden sonst nicht gezeigt wird. Unser erster Gang führte nach der Artillericschule. Sie ist ein prächtiges Gebäude aus einem freien Platze, gerade in der Spitze der Halbinsel, sodaß man von hier aus den besten Ueberblick über die Lage hat. Der Jngul, der an dieser Stelle in den Bug mündet, ist zwar nur ein kleiner Fluß, aber hier von solcher Tiefe, daß er Linienschiffe ausnehmen kann. Die Kunst hat das Ihrige dazu gethan, aus ihm einen Hafen für die Marine zu machen; der Handelshafen der Stadt befindet sich jenseits im Bug. Aufwärts am Jngul hin führt die hübsche gutgehaltene Promenade, in deren Mitte das ziemlich einfache Palais des Gouverneurs steht, wo Kaiser Nicolaus oft gewohnt hat. Auf der ganzen Länge des Spazierganges begleiten uns zur Linken über dem Flußuser uner­meßliche Reihen von Bomben und Kugeln jeder Art in Haufen geschichtet, Mörser, Kanonen, sämmtlich aus Gußeisen; mannshoch wächst das Gras und Unkraut zwischen ihnen empor, aus dem Zündloch einer furchbaren Haubitze war ein Waizenhalm mit mehreren Aehren aufgeschossen, ein rechtes Sinnbild des Friedens. Es hätte geraume Zeit bedurft, die Röhre, die hier lagen, zu zählen, und doch waren noch weit mehr davon in den Arsenalen selbst auf­gehäuft. Ich kenne die englischen und die französischen Seekriegswerkstätten, trotzdem hat mir diese russische imponirt; sie erschien mir bedeutender, wie die-