37«
irgend welches Nationalgefühl gewesen, keine Spur von der Aufgabe des deutschen Geistes in Amerika gehabt und nicht im Entferntesten daran hätten denken können, daß ihre Nachkommen sich in hundert Jahren zu einer Feier vereinigen würden, wie die, mit welcher an jenem Tage nicht blos die deutsche Bevölkerung Neuyorks, sondern eine große Anzahl anderer, theilweise deutscher Städte Amerikas bis in das ferne Kansas und bis nach Kalifornien hin dem Andenke» unsres Nationaldichtcrs ihren Tribut zollten. Man stellte jenen Zuständen die Thatsache gegenüber, daß die Deutschen jetzt in Amerika, auch wenn man nur die dem nationalen Wesen treu gebliebenen rechnet, nach Millionen zählen, daß sie nicht mehr ein Haufe zusammenhangsloser Atome, sondern ein Bolks- element seien, welches sich einer Eigenart bewußt ist, und stolz darauf, dieselbe mit mehr oder weniger Nachdruck geltend macht. Man freute sich dessen und baute darauf die Hoffnung, daß man in abermals hundert Jahren noch Günstigeres zu berichten haben würde.
Wir können diese Hoffnung nicht ganz theilen. Gern wollen wir zugestehen, daß das deutsche Element in Amerika in den letzten zehn Jahren durch eine stärkere Einwanderung von Gebildeten eine bessere Haltung gewonnen, daß es hier und da entschiedener als je vorher sein Wesen gewahrt und geltend zu machen versucht hat. Aber in der bei weitem überwiegenden Mehrzahl leben solche Stimmungen und Bestrebungen unsrer Erfahrung nach nicht. Diese Mehrzahl führt noch immer ein Leben, das im Wesentlichen eine Nachahmung des Amerikcmerthums ist und sich im Grunde von diesem nur dadurch unterscheidet, daß man besser turnt und singt, weniger, in die Kirche geht und mehr Lagerbier vertragen kann als der Nachbar Uankee. Das Bewußtsein von der Mission der Deutschen in Amerika ist nur in verhältnißmäßig Wenigen zum Durchbruch gekommen, und von diesen werden diejenigen zu zählen sein, weiche auf verständige Weise dahin wirken, daß dieses Element zur Geltung gelange. Man sehe sich die deutsch-amerikanische Presse an, man lese die rüpelhaften Ausfälle, in welchen die Führer derselben einander befehden, man überblicke die Reden, die bei den Schillerfesten der verschiedenen Städte gehalten wurden, und von denen die in Neuorleans, wo ein Herr Maas es in der Ordnung fand, Robert Blum mit Schiller und Luther zusammenzustellen, nicht die abgeschmackteste war, man gehe in eins der deutschen Theater, in eine der deutschen Buchhandlungen in den amerikanischen Hauptstädten, und man wird von sehr erheblichen Bedenken beschlichen werden, ob es gestattet sei, jene Mission zu betonen, ja ob dieselbe in der Ausdehnung, welche ihr einzelne Enthusiasten geben möchten, überhaupt ezistire.
Die Ursachen davon, daß dem so ist, sind nicht schwer zu finden und zur Genüge schon angegeben worden. Die deutschen Einwandrer sind mit wenigen Ausnahmen Kaufleute, Handwerker und Bauern, und diese finden ihre Rech-