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keit bis zu einem gewissen Grade, aber zuletzt eine zähe passive Willenskrast. Von diesen Eigenschaften äußerte sich zuerst nur sein weiches Gemüth, sein gütevolles, liebreiches Herz. Seine Persönlichkeit war so gewinnend, daß nach wenigen Wochen über den ganzen Kirchenstaat eine stillschweigende unschuldige Verschwörung verbreitet schien, sich für jetzt mit wenigen von den begehrten Reformen zu begnügen und Weiteres ihm durch Liebesbezcigungen abzugewinnen. In dem Rausch, der sich dadurch erzeugte, verwirrten sich die Begriffe. Pius wurde nach kaum einjähriger Regierung bei gesundem Leibe zum Mythus. Nationale wie Liberale sahen in ihm ihre Wünsche als Absichten leben, den einen war er ein Salomo, den andern in Hinsicht auf Oestreich ein Makkabäcr, beide Classen beteten gleich dem Bildner des olympischen Jupiter ihr eignes Werk an. Wir alle wissen, in welchen überschwenglichen Gefühlsausbrüchen, in welcher Liebes- seligkcit sich das römische Volk monatelang gefiel, wie viel es damit erreichte, wie weit Pius freiwillig mitging, wie er über diesen Punkt, den Punkt, wo die Bedenken seines päpstlichen Gewissens die Regungen seines guten Herzens schweigen hießen, weiter gezogen wurde zur Katastrophe, zum Widerruf, zur Umkehr. Wir wissen, wie die Hoffnungen, die seine ersten Regierungshandlungen erweckt, sich in Enttäuschungen, der Liebestaumel um seinen Thron sich in bittern Haß verwandelte, wie die Loblieder auf ihn Libellen, die Kränze der Volksprozessionen drohenden Waffen Platz machten, wie die Weihrauchwolke, in die man ihn gehüllt, sich nllmälig verzog, um einer Wolke von Pulverdampf Raum zu geben, aus der die Revolution selbst gegen die Person des heiligen Vaters ihre Blitze schleuderte. Wir sollten aber zugleich wissen, daß es so kommen mußte und daß Pius nur in geringem Maß die Schuld' davon trägt, daß es so kam.
Pius war weit entfernt davon, zu sein, was seine anfänglichen Verehrer aus ihm machten, ein Fürst nach dem Herzen der entschiedenen Reformer. Er war nicht der Mann, dies sein zu wollen, noch weniger in der Stellung, dies sein zu können. Wenn er überhaupt einen bestimmten Plan hatte, so war es der, zu versöhnen, zu vermitteln, durch Liebe Liebe zu wecken, durch Wohlwollen und unschädliche Nachgiebigkeit in Nebendingen die Gemüther von der eigentlichen brennenden Frage abzuleiten, deren letzter Hintergrund die Trennung der kirchlichen Gewalt von der weltlichen war. Eine solche Trennung hat er zu keiner Zeit im Auge gehabt. Sein Herz drängte ihn zu einer möglichst milden Handhabung des Systems, eine Aenderung des Systems verbot ihm sein Gewissen, wie es dieselbe jedem, selbst einem kühnern Papst verbieten wird. Die Revolution erhob sich, aus ihr die Republik. Auf die Republik folgte die Restauration, und Pius, durch die Erfahrung belehrt, daß alle Zugeständnisse nutzlos seien, für das Volk wie für den Papst, wenn ihnen nicht das größte, ihm unmögliche Opfer folgte, hütete sich aufs Neue Ver-