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mangeln." Die Konservativen hofften den Staatssekretär Lambruschini, die Seele des bisherigen Regiments, durchzusetzen. Die Wünsche der Liberalen waren auf den Cardinal Gizzi gerichtet, der sich als Legat von Forli dadurch - empfohlen, daß er die Ausnahmegerichte von seiner Provinz abgelehnt hatte. Von den Genannten erhielt nur Lambruschini viele Stimmen, keiner die Majorität. Negative Eigenschaften empfehlen oft bei den Wählern mehr als positive. Dem gutmüthigen Bischof von Jmvla, Mastai Ferretti, konnte nichts Schlimmes, namentlich keine Härte nachgesagt werden, er galt für ein menschenfreundliches frommes Herz und für der Reform geneigt, die vor dem Schluß der Conclave von Rossi, dem Gesandten Frankreichs, ernstlich empfohlen worden war. Aus ihn vereinigte sich am dritten Tage die Majorität der Stimmen.
Die große Mehrzal der Römer kannte den neuen Pontifex nicht. Es galt zunächst die enttäuschten Parteien mit der unerwarteten Wahl zu versöhnen. Dem niedern Volk erzählte man eine derbe Anekdote von seinem Kandidaten. „Wenn der Teufel die Cardinäle inspirirt," sollte Micara zu Lambruschini gesagt haben, „so wird einer von uns beiden gewählt; thut es aber der heilige Geist, so wird dieser gute Mastai Papst. Den Liberalen ließ man andeuten, daß Oestreich gegen die Wahl sein Veto geltend zu machen beabsichtigt habe, und sie begannen zu hoffen. Die gestürzte reactionäre Partei war nicht zu versöhnen, doch mußte sie sich mit stummem Grollen begnügen.
Allmälig erfuhr man in weiteren Kreisen, welchen Charakter man in dem neuen Fürsten vor sich habe. Johann Maria Mastai gehörte einer geachteten Adelsfamilie in Sinigaglia an. Er war für einen Papst noch in jugendlichem Alter. In jüngern Jahren hatte er in den Militärstand treten wollen; später Kleriker geworden, hatte er auf einer Reise nach Chile ein Stück Welt gesehen. Dann in höhere Würden aufgerückt, war er ein gewissenhafter Bischof, ein sorgsamer Verwalter milder Stiftungen gewesen. An Hofintrigucn hatte er sich nicht betheiligt, ebenso wenig an der Verfolgung der Liberalen — einer von seinen Brüdern war als entschieden Liberaler seit 1831 in der Verbannung. Von seiner Wirksamkeit als Bischof wurden Züge mitgetheilt, die eines Fene- lon würdig waren.
Pius der Neunte, wie der neue Papst sich bei seiner Thronbesteigung nannte, ist ein Charaker. der eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Ludwig dem Sechzehnten besitzt. Er sagte von sich selbst, er sei wie ein Stein; wo er hinfalle, bleibe er durch sein eignes Gewicht liegen. Wie er schon in jungen Jahren die meiste Vorliebe für die Musik gezeigt, war er weich, vielleicht schwach für äußere Eindrücke. Aber sobald er etwas für Gewissenssache ansah, trat er unbeugsam auf. Man sagte daher von ihm, er habe das Temperament zu einem Märtyrer, wenig Entschlossenheit zu eigner That, Lenksam-
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