Die Zustände im Kirchenstaat.
Daß die Theokratie, welche wir den Kirchenstaat nennen, eine Anomalie unserer Zeit ist, möchte von Wenigen bestritten werden, welche sich die Mühe genommen haben, sie näher anzusehen und sie mit andern modernen Staaten zu vergleichen. Nur die Stellung, welche man mit seinen Wünschen zu ihr einnimmt, ist eine verschiedene. Dem Einen ist sie ein noli ins tanZere, das mit allen seinen Mängeln und Gebrechen ertragen werden muß zur größern Ehre Gottes. Andere wollen sie unversehrt erhalten wissen, weil man mit Aenderungen in ihrer Organisation die Grundsteine des alten Rechts, der alten Weltordnung zu lockern fürchtet. Wieder Andere empfehlen mehr oder weniger aufrichtig mehr oder weniger Reformen. Noch Andere endlich sind der Ueberzeugung, daß man hier so wenig wie anderwärts mit Aufflicken neuer Lappen auf ein altes Kleid etwas Erfreuliches zu Stande bringen könne, daß die vorgeschlagenen Reformen in Rom genau so wenig Wandel schaffen würden als die, mit denen man dem Türken das Leben zu fristen wähnte. Sie glauben, daß der Himmelsschlüssel, mit dem der Nachfolger Petri regiert, sich durch kein politisches Zauberwort in ein brauchbares Scepter verwandeln lassen werde, daß man mit der mittelalterlichen Weltanschauung, die er vertritt, nicht anders als gründlich brechen könne. Sie erheben den Ruf: Trennung der widernatürlichen Ehe zwischen Himmel und Erde, Auflösung des Kirchenstaates in seine beiden Elemente: Kirche und Staat. Sie verwahren sich dagegen, daß man ein derartiges Verfahren einen Raub nenne, sie erkennen, indem sie zu Entschädigungen die Hand bieten, nichts anderes darin, als eine durch die Umstünde dringend gebotene Expropriation.
Mit denen, welche an einen Gott glauben, dem mit schlechten politischen Einrichtungen, mit absoluter Stabilität gedient ist, läßt sich nicht reden. Ebensowenig im Grunde mit denen, welche mit Aenderungen der gegenwartigen Zustände in Rom die Welt in Trümmer gehen sehen. Man machte in richtiger Erkenntniß der Dinge den geistlichen Kurfürstentümern, gefürsteten Abteien und anderen mit dem Krummstab regierten Staaten Deutschlands ein Ende, und trotz des Sprichwortes, unterm Krummstab sei gut wohnen, erhob sich niemals eine beachtenswerte Stimme, die sich nach ihm zurück gesehnt
Glcnziwten I, 1LL0, 36