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wieder und seine sonore Stimme, die gewissen Worten einen unnachahmlichen Acecnt zu verleihen vermochte, ward bezaubernd; aber solche Augenblicke waren selten und seine Jahre vergingen im Mißmuth über verfehlte Ziele und Selbstvergotternng seines Talentes. Er starb 1848, seine Freundin fvlgte ihm bald darauf.
Madame Nvcamier war unzweifelhaft nicht, was man eine Frau von Geist nennt: in ihrer Jugend fesselte ihre Schönheit, später die Erinnerungen und ihr reines, wohlwollendes Gemüth. Einer Leidenschaft mochte sie unfähig gewesen sein, aber feinen Takt und sanfte Empfindung scheint sie in hohem Maße besessen zu haben. Als der Mittelpunkt eines reichen Kreises bedeutender Menschen wird sie merkwürdig bleiben.
Von der prenhischen Grenze.
Beim Schluß des Jahres ziemt es, einen Rückblick auf die ebeu abgelaufene Periode zu werfen. Im Drang der Begebenheiten, au denen wir, wenn nicht durch unsre Thätigkeit, so doch dnrch nnsrc Wünsche, Interessen und Hoffnungen selber betheiligt waren, haben wir kaum Zeit genug gehabt, zu beachten, daß dieses Jahr eines der merkwürdigsten unsers Lebens war; ja, seit 1848 unstreitig das merkwürdigste. Zwar sind wir alle noch in einem Gährnngsprozeß begriffen, der einer klaren Gestaltung widerstrebt, wir tragen noch immer mehr Ahnungen als Begriffe, mehr Vclleitütcn als einen bestimmten Willen in uns, aber wir haben doch das sehr entschiedene Gefühl, daß in uns, wie um uns, eine wichtige Veränderung eingetreten ist.
Ob diese Verändcrnng unbedingt eine gute zu nennen sei, scheint aus den ersten Anblick zweifelhaft. Werfen wir zunächst einen Blick auf Prenßen, das uns nicht blos persönlich am nächsten angeht, sondern von dessen Thatkraft und Entschlossenheit, nach der stillen Ueberzeugung aller Dcntschcn es hauptsächlich abhängt, was aus nns werden soll. Am Schluß des vorigen ZnhreS war die Regentschaft eingerichtet, ein wenigstens theilwcisc liberales Ministerium eingesetzt, eine neue Kammer gewählt, die in überwiegender Majorität der Freiheit und-dem Fortschritte hnldigte. Längst entschlafene Hoffnungen regten sich wieder, Und, was der damaligen Periode eine so eigenthümliche Physiognomie gab, diese Hoffnungen waren mit einer ungewöhnlichen Bescheidenheit verbunden. Jeder rief seinem Nachbar zru er solle nicht zuviel von Außen erwarten; es sei schon genug, daß der Bewegung nur einiger freie Spielraum gegönnt werde; das Volk habe nnn zu zeigen, ob es im Stande sei, entschieden und niacißvoll zugleich, Schritt für Schritt vorwärts zu kommen. Es ist nicht zu verkennen, daß die gegenwärtige Stimmnng in Preußen selbst gedrückter ist als damals. Ucbcrall vernimmt man ein stilles Grollen, und wenn das Maaß dessen, was man zn erreichen strebt, sich noch immer in den schicklichen Grenzen halt, so ist doch die Art des Begehrens unruhiger und ungeduldiger geworden. Die politischen Zustände tragen durchweg den Charakter des Provisorischen, grade wie die Finanziellen in der großen Krisis, wo eigentlich auch kein wirklicher Mangel vorhanden war, sondern nur keiner recht wußte, wie es eigentlich mit seinem Vermögen stand. Dies Gefühl des Provisorischen ist in gewissem Sinn