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Annette von Droste.
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Annette wn Droste.

Lctztc Gaben. Nachgelassene Blätter von Annette Frciin von Drostc-Hüls- hosf. Hannover, Nümplcr.

Der Werth der vorliegenden Gabe ist bedeutend genug, eine ausführliche Besprechung zu veranlassen, und da die Grenzboten einer Dichterin gegenüber, die in der modernen Lyrik einen sehr bedeutenden Rang einnimmt, ihre Schuldigkeit noch nicht gethan haben, so benutzen wir diese Gelegenheit, das versäumte nachzuholen. Die Dichterin war 1798 geboren, 1848 gestorben; katholisch, unverhcirathet, wie es scheint, meist kränklich. IhreGedichte" ^schienen 1340 (Stuttgart, Cotta): wir bezeichnen im Folgenden diese Samm­lung mit I. dieletzten Gaben" mit II; eine dritte Sammlungdas geist­liche Jahr nebst einem Anhang religiöser Gedichte" 1852 liegt uns nicht vor.

Wann die einzelnen Gedichte entstanden sind, ist nicht angegeben; wir können daher auch nicht sagen, ob Lenau's Vorbild aus sie eingewirkt hat, °der ob beide Erscheinungen unabhängig von einander aus der allgemeinen Zeitrichtung hervorgegangen sind. Die Verwandtschaft ist augenscheinlich: bei beiden erkennt man den echten Dichter, bei Annette sogar in noch viel höhe­rem Grade, ja man möchte sagen, sie macht einen männlicheren Eindruck; bei beiden findet man aber eine seltsame Art von Jncorrcctheit, die auf einer ^wissen Unfertigst der Gedanken beruht. Die wenigsten dieser Gedichte hinterlassen eine durchweg wohlthuende Stimmung. Die Bilder drängen und i"gen einander, die scharf zugespitzten Gedanken führen nur selten zu einem faßbaren Resultat; ja mitunter scheint es, als ob der Dichterin, die doch eine g^ße Gewalt über die Sprache besitzt, die Zunge stockte, als ob sie etwas anderes sagte, als sie sagen wollte. Es ist in den Empfindungen wie in den Gedanken ein' gewisser Unfriede, eine Hast, deren Grund man nicht durch­kaut, uud gegen die man sich auflehnen möchte; aber überall schimmert °lne bedeutende Physiognomie durch, ein starkes, wenn auch krankes, Herz, ein der gewaltigsten Bewegung zitterndes poetisches Gemüth. Wenn in der ^tern Elegie Bilder und Gedanken sich so sanst an einander legten, daß man

halbem Traum verfolgen konnte, ohne Furcht, etwas Wesentliches e.nzu-

Grenzbotcn IV. 1859. ^