Beitrag 
Ein deutscher Reisender über die Mormonenstadt in Utah.
Seite
148
Einzelbild herunterladen
 

148

saal einzurichten, in welchem die Bänke amphithcatralisch geordnet sind, so daß man den untenstehenden Redner von allen Seiten sehen und hören kann, und da die Decke dieses Saales, welche zugleich das Dach des Hauses ist, die Form eines einfachen Tonnengewölbes hat, so wurde dadurch die nöthige Höhe erreicht, und man brauchte den beiden überirdischen Seitenmauern des Hauses nicht mehr als etwa vier bis fünf Fuß Höhe zu geben.

Der Gottesdienst der Mormonen beginnt gewöhnlich mit einem Gebet des Oberpriesters, worauf ein Gesang der Gemeinde folgt, der in Ermange­lung einer Orgel mit einem guten sechsoctavigen Melodion begleitet wird. Eine Engländerin, deren Mann auf dem Wege nach Californien starb, ist Orga­nistin und spielt das Instrument ganz leidlich. Auf den Gesang folgt eine Rede, die ein vorher bestimmtes Mitglied des Vorstandes hält. Die Mor­monen behaupten zwar, der Redner erfahre nur kurz vorher, daß er zu spre­chen habe, die Reden würden ex temxors gehalten und ein jeder könne auf­gerufen werden, um über einen gegebenen Gegenstand zu sprechen. Dies ist ein Kunstgriff, um das Volk in dem Glauben zu bestärken, Offenbarung und göttliche Inspiration sei fortwährend in den Auserwählten thätig. Nach dem Gottesdienst werden die Zehntarbeiten verkündet; denn jeder Mormone zahlt der Kirche nicht nur den zehnten Theil seiner Arbeit, sondern auch den zehnten Theil seiner Zeit; es wird indessen von der Verwendung des Zehnten der Gemeinde niemals eine Rechenschaft abgelegt. Als ich eines Tages dem Apostel Taylor, der als eine der gelehrtesten Stützen der Kirche angeschen wird, bemerkte, daß dies gegen den Geist der amerikanischen Institutionen wäre, suchte er mir auseinanderzusetzen, daß es am Ende besser wäre, die Klügeren und Gelehrteren besorgten die Angelegenheiten eines Volkes, als daß das Volk sich um alles zanke. Er wies dabei allen Ernstes auf China hin, als sein Ideal einer Regierungsform.

Es ist mehr ärgerlich als interessant zu beobachten, wie das arme und geistig verkommene, im Uebrigen meistentheils ganz ordentliche, arbeitsame Volk aus Wales, Dänemark und Norwegen, denn dieses bildet die Hauptbevölkerung des Thales, bearbeitet, fanatisirt und zu gefügigen Heiligen hergerichtet wird. Es ist eine zwar nicht neue, aber für den Philosophen wie für den Staats­mann immerhin eine belehrende Erscheinung, zu sehen, wie hier gleichsam unter seinen Augen eine angeblich geoffenbarte Religion entsteht und sich ausbildet, wie der krasseste Unsinn, der handgreiflichste Betrug dazu dient einen Staat zu gründen, einzurichten und für die Zwecke Weniger auszubeuten. Und doch kann man von den leitenden Männern in Utah nicht sagen, daß es besonders begabte oder auch nur talentvolle Männer wären; bei weitem die meisten unter ihnen sind sogar höchst unwissend und von beschränktem Verstände. Auch von religiösem Fanatismus, der sich wie ein Contagium überträgt, ist bei ihnen