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von künstlerischem Beiwerk an sich gerissen, was ihrem Wesen irgend assimilir- bar war. In dem Bestreben, jeden Pulsschlag des Volks zu regeln, hat sie sich zur Dienerin seines Kunstbedürfnisses erniedrigt und hat dies letztere in bloße Schaulust und in den Hunger nach stark sinnlichen Eindrücken ausarten lassen, da sie als Dilettantin nicht eigne Eingebung, sondern den scheinbar raschesten Erfolg als ihr Gesetz anerkennen muß. Somit ist es ihr wie dem Strome ergangen, welcher seinen Spiegel weit über die fruchtbaren Lande hin ausdehnen möchte und dabei an Tiefe und Kraft einbüßte, was er an Breite erobert zu haben glaubte: sie hat sich verflacht und verflacht sich täglich mehr.
R. W.
Ausblicke aus den Kriegsschauplatz.
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1. Juli.
Von den Verbündeten auf ihrem Rückzug nicht besonders gedrängt, waren die Oestreichs den 17. Juni am Mincio vereinigt; sie gaben auch das rechte Ufer dieses Flusses vorläufig auf und behielten nur die Uebergänge an ihm besetzt. Hinter dem Mincio übernahm der Kaiser Franz Joseph, seit dem 30. Mai schon zu Verona, selbst den Oberbefehl über das Heer, mit Heß als Generalstabschef an seiner Seite. Giulay legte das Coinmando der zweiten Armee nieder und ging nach Hause. Es trat indessen dafür nichts Besseres ein, eher etwas Schlimmeres. Das Heer ward jetzt nämlich in zwei Armeen zerlegt, die doch auf dem gleichen engbegrenzten Kriegsschauplatz operiren, auf dem gleichen Schlachtfeld möglicherweise operiren sollten. An die Spitze der sogenannten ersten Armee oder des linken Flügels trat Graf Wimpffen. an die Spitze der zweiten Armee nun an die Stelle Giulays Graf Schick, der bisher das Commando im Küstenlande geführt hatte.
Ein solches in zwei große Körper getheiltes Heer ist ein wahres Ungeheuer. Es gleicht einem Menschen, der — nicht etwa zwei Beine hätte, sondern aus zwei Beinen bestände. Ein solches Wesen, dessen Bewegungen sich der Leser einmal vergegenwärtigen mag, nennt man wol nicht mehr einen Menschen, sondern ein Mondkalb. Ein zweigetheiltes Heer sollte man auch nicht mehr ein Heer nennen.
Die Unfähigkeit eines solchen Ungethüms, durch die Wirkung der Kunst, auf zweckmäßige Weise etwas zu leisten, liegt vorzugsweise darin, daß jede kriegerische Hauptaufgabe von einiger Bedeutung in mehr als zwei Unteraufgaben .zerfällt und daß für die Lösung jeder dieser Unteraufgaben zudem nicht gleiche, sondern ungleiche Kräfte nothwendig sind.