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dringende Veranlassung eine Ausnahme machte, wie in der Catilinarischen Verschwörung), geschah dies im Majestätsproceß, und (was früher unerhört gewesen war) auch Freie wurden als Zeugen wie als Angeklagte der peinlichen Frage unterworfen. Personen, die sonst zur Anklage nicht zugelassen, wurden, durften sie hier erheben: namentlich Sklaven und Freigelassene gegen ihre Herrn oder Patrone, obwol einzelne Kaiser diese Bestimmung, deren unheilvolle Folgen sich mit Gewißheit voraussehn ließen, vorübergehend aufgehoben haben. Endlich wurden die Anklüger durch einen Antheil an dem confiscirten Vermögen der Verurtheilten belohnt. Die auf die schlechtesten Seiten der menschlichen Natur begründete Rechnung erwies sich nur zu sehr als richtig.
An die Stelle der frühern Strafe des Majestätsverbrechens, des EM, trat in der Kaiserzeit in der Mehrzahl der Fälle die Todesstrafe, in der spätern Zeit für Personen niedern Standes sogar eine geschärfte: sie wurden lebendig verbrannt oder wilden Thieren vorgeworfen. Die Güter des Verurtheilten wurden confiscirt, seine Schenkungen und Verfügungen waren null, und zwar von der Zeit an, wo er den Plan zu seinem Verbrechen gefaßt hatte. Bei höhern Graden des Majestätsverbrechens wurde den Verurtheilten auch das ehrenvolle Begräbniß abgesprochen und die Trauer der Verwandten um ihn verboten. Die Strafe konnte sogar auf die Kinder der Verurtheilten ausgedehnt werden, auf die sich die Gesinnungen der Väter möglicherweise vererbt haben konnten, und die durch Entziehung des Vermögens, durch den Verlust der bürgerlichen Ehre ebenfalls unschädlich gemacht werden sollten. In der Republik hatten selbst die Söhne der Vatermörder und Hochverrüther nicht unter den Verbrechen ihrer Väter gelitten, erst die Sullanische Proscription verfolgte auch die Nachkommen ihrer Opfer. Die Anklage wegen Majestüts- verbrechens konnte auch nach dem Tode erhoben werden, und die Verurthei- lung hatte dann Confiscation des Vermögens und Beschimpfung des Gedächtnisses zur Folge.
Der Majestätsproceß im Sinne der Kaiserzeit beginnt erst mit Tiber, weil erst unter der Regierung des zweiten Cäsars die Monarchie als Verfassung des römischen Staats auch äußerlich zur thatsächlichen Vollendung gelangte, ein Proceß, den August mit der freilich durchsichtigen Hülle republikanischer Formen zu verdecken eifrig bemüht gewesen war. Auch Tiber fand es im Ansang seiner Regierung noch für nöthig, die Rolle, die sein Vorgänger gespielt hatte, fortzuspielen, wozu ihm freilich dessen Anmuth und Gewandtheit ganz abging. Die tastende Behutsamkeit seiner Schritte, das scheinbare Schwanken, die Zweideutigkeit seiner Worte, das Zögern in seinen Handlungen, alles das war nicht blos in seinem Wesen begründet, es war auch (oder schien ihm wenigstens) durch die Eigenthümlichkeit seiner Lage geboten. In diesem Sinn