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Von der preußischen Grenze.
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Von der preußischen Grenze.

14, Juni.

Mit athcmloser Spannung sind alle Blicke nach Berlin gerichtet, denn dort, das fühlt man jetzt schwer, hinter dem Dunkel, welches noch immer die Entschlüsse bedeckt, dort verbirgt sich das Verhängnis;, das Schicksal unsrer Zukunft vielleicht für längere Zeiten. Es ist stiller geworden unter den lauten Kriegsrufern, der Ernst der Lage, der nun furchtbar näher tritt, bringt den übermüthigen Lärm zum Schwei­gen. Groß war der Schreck im Anfang dieses Jahres, als die lang gefürchtetc Zwie­tracht zwischen Frankreich und Oestreich ausbrach; viel ernster ist das Unwetter, das jetzt sich naht. Damals handelte es sich blos um die Veränderung eines Macht­verhältnisses, jetzt um die Frage, ob wir unsere ganze Existenz aufs Spiel setzen sollen. Die Spannung ist drückend und vielleicht nicht am wenigsten beklommen sind diejenigen, die am lautesten zum Kriege trieben.

Auf Wiedcrsehn in Paris!" riefen von der Eisenbahn aus die durchmarschiren- den ungarischen Soldaten, denen man diese deutschen Worte wol beigebracht hatte, den sächsischen und bairischcn Waffenbrüdern zu. Mit Jubel wurde dieser Ruf er­wiedert, denn Paris ist eine angenehme Stadt. Jetzt sieht man wol. daß der Weg, den die Oestrcicher eingeschlagen haben von Garlasco nach Mantua nicht der geradeste ist. der nach Paris führt. Die Baiern malen sich bereits die Möglichkeit einer französischen Besetzung der Pfalz aus, die Würtembcrgcr klagen jetzt schon über die Strapazen des Krieges, die Hannoveraner erinnern sich daran, daß wir keine Flotte besitzen, eine französische Jnvasionsarmee von unsern Küsten abzuhalten; und dazu kommt jetzt die Veröffentlichung der russischen Note, der Rücktritt des Ministe­riums Derby. Lord Derby hatte eifrigst erklärt, es fiele ihm gar nicht ein, die deutschen Küsten gegen irgend eine Flotte schützen zu wollen, und nun wird er von seinem Amt verdrängt, weil er zu stark seine östreichischen Sympathien kundgegeben habe! Danach kann man sich vorstellen, was Deutschland von Lord Palmerston zu erwarten hat! Noch bündiger ist die russische Note, und wenn der Inhalt der­selben im Allgemeinen so vorausgesetzt werden konnte, wie er wirklich erfolgt ist, fo ist in der Form zweierlei bemerkenswerth: die brutale Drohung gegen die deutschen Mittelstaaten, die Schmeicheleien gegen den Prinzen von Preußen, und diese Note scheint erlassen zu sein, nachdem die preußische Haltung wenigstens muthmaßungs­weise in St. Petersburg bereits bekannt war.

In der Seele des Prinzen, so weit sie der Fernstehende sich verständlich machen kann, kreuzen sich zwei entgegengesetzte Empfindungen: der 18. März hat ihn, den Einzigen, der männlich fühlte und männlich wollte, mit frechen Beschimpfungen über­häuft; der Tag von Olmütz hat sein preußisches Ehrgefühl tief verwundet; wenn er der Revolution und allem, was damit zusammenhängt, ein Gefühl entgegenbringt, welches von dem der Achtung himmelweit verschieden ist, so ist seine Stimmung gegen die innern und äußern .Träger der Politik Olmütz nicht wesentlich davon ver­schieden, und Oestreich ist stets der offne oder geheime Beschützer und Einbläser dieser Politik gewesen. Diese beiden Gefühle bekämpfen sich, noch verwickelter ist das Geflecht der Interessen: aber was den Prinzen charakterifirt, ist das unendliche Uebcr- gewicht des Pflichtgefühls über alle sonstigen Bestimmungsgründe. Aus Pflichtgefühl hat er die gesetzlich fixirten Resultate der Revolution anerkannt, aus Pflichtgefühl