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Schiller als Historiker.
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diese Woche eine Geschichte des dreißigjährigen Kriegs gelesen und mein Kopf ist mir noch ganz warm davon: daß doch die Epoche des höchsten Nationalelends auch zugleich die glänzendste Epoche menschlicher Kraft ist! Wie viele große Männer gingen aus dieser Nacht hervor! Ich wollte, daß ich zehn Jahr hintereinander nichts als Geschichte studirt hätte, ich glaube, ich würde ein ganz anderer Kerl sein. Meinst du, daß ichs noch werde nachholen tonnen?"

Weiter erfahren wir sreilich nichts, aber wir können uns die Lücken leicht ergänzen. Der Erfolg des Don Carlos konnte ihn nicht befriedigen, wenn er ihn mit dem der Räuber verglich, und hier war er sich doch bewußt, ein ganz anderes Kunstwert' geliefert zu haben. Don Carlos selbst hat eine innere Geschichte. Zuerst ist es nur die Übertragung von Kabale und Liebe in eine höhere Sphäre; die Grandezza des spanischen Hofes, tue Inquisition, das Geheimniß, das jene Begebenheit einhüllte, gab dem Famiiiendrama einen höhern poetischen Neiz; seine Helden, der Prinz und die Königin, sind nur die Opfer dieser unmenschlichen Zustände. Dann aber erwacht in dem Dichter der historische Trotz, der Aufstand der Niederländer kommt seiner Phantasie zu Hilfe und er erfindet einen Träger des Freiheitsgedankens am spanischen Hofe selbst: Posa drängt den schwächern Carlos so sehr in den Hintergrund, daß endlich auch die Königin ihre Liebe auf ihn überträgt. Fast noch wichtiger für diese zweite Periode des Stücks und ein echt poetischer Zug ist das tiesere Eingehn in den Charakter des Königs, der aus dem Henker ein Opfer, ja ein interessantes Opfer seiner eignen Staatsklugheit wird. Ein weiterer Fortschritt der Bildung zeigt sich in den Briefen. Auch Marquis Posa wird der Kritik unterworfen und es zeigt sich die despotische Natur dieses zweiten Karl Moor, den nur der tiefere Blick des Königs richtig durchschaut hatte. Anstatt also mit dem Abschluß des Stücks die Sache selbst fallen zu lassen, grübelte er immer tieser über das Problem nach, und nahm, um festen Boden zu ge­winnen, immer mehr historische Bücher zur Hand. Das positive Interesse concentrirte sich mehr und mehr in dem Freiheitskampf der Niederländer gegen Philipp, der dann später durch Goethes Egmont für ihn eine lebhaftere An­schauung gewann.

Nun war er darauf angewiesen, von dem Ertrag seiner Studien zu leben. Einige novellistische Versuche hatten ihm gezeigt, daß er gut erzählen könne, und er mußte bald dahinter kommen, daß für solche Erzählungen die Ge­schichte einen bessern Stoff darbot als die bloße Phantasie. Hatte er früher sich bemüht, interessante Verbrechen dramatisch zu charakterisiren, so verfiel er jetzt aus den Gedanken, diese Verschwörungen, z. B. die des Fiesco, historisch zu behandeln. Drei solcher Verschwörungen kamen wirklich zu Stande: die von Nienzi, Bedemar und die Pazzi; Fiesco blieb liegen. Der Aufenthalt in Nudoistadt veranlaßte ihn, die fürstliche Familie in'der bekannten Anekdote