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und nur von Paris her anzubrechen schien. Was jenseit des Kanals in England geschah, war bei weitem nicht so verständlich, noch klang es, so viel man davon verstand, sehr erbaulich. Form und Inhalt des englischen Verfassungslebens war dem europäischen Continent fast ganz fremd geworden, und blieb man meist bei Einzelheiten stehen, die jedoch vorzugsweise nur durch ihre Sonderbarkeit auffielen. Ein freier historischer Sinn fehlte damals noch fast gänzlich. Dazu kamen die damaligen großen Miseren in England selbst: die Reactionsversuche, die Noth der Zeit, die ganze Anhäufung großer historischer Gebrechen, deren allmälige Heilung sich noch vorbereitete, und endlich der berüchtigte, mit aller Öffentlichkeit geführte Proceß gegen die Königin Caroline, der die sittlichen Schäden der in England regierenden Classen scharf genug herausstellte. Wie ganz anders in Frankreich! Noch während die fremden Heere auf französischem Boden standen, begann in der Deputirtenkammer jener im Namen der Freiheit geführte, aber in Wirklichkeit gegen die antinationalen Richtungen der wieder hergestellten Dynastie unternommene heiße und glänzende Kampf, der erst im Juli 1830 seine Vollendung fand. Daß das übrige Europa damals den eigentlichen Kern desselben nicht verstand oder nicht verstehen wollte, daß es den Freiheitsbestrebungen, so wie sie sich äußerlich zeigten, zujauchzte, daß es in den Franzosen ebenso viele Freiheitshelden sah, welche wieder der großen Revolution und ihrer Grundsätze sich erinnerten, wer will das jener Zeit verargen! Der einzige Lichtblick in der allgemeinen Finsterniß, das einzige Fortschreiten im allgemeinen Stillstand! Die natürliche Folge aber war, daß man dasjenige, was eigentlich in den Verhältnissen und in den Menschen lag, auf die scheinbare Grundlage der ganzen Entwicklung, auf die französische Verfassung und deren leitende Grundsätze übertrug, und nur Wenige haben damals den mindesten Zweifel daran gehabt, daß sie die Keime zu einer gesunden freiheitlichen Entwicklung in sich trage. Es war dies eine sür die Zukunft Europas verhängnisvolle Verwechslung.
Den Höhepunkt erreichte diese ganze Richtung in und nach der Julirevolution. So gesund war ja der in der französischen Verfassung liegende Freiheitskeim gewesen, daß er genügt hatte, um eine pflichtvergessene Regierung zu stürzen. Allein diese so wie viele andere Illusionen gingen an den Täuschungen Louis Philipps zu Grunde, und minderte sich auch im Laufe der Zeit im Allgemeinen die Anerkennung der der französischen Verfassung eigenthümlichen Gedanken nicht, so ward doch die unbedingte Bewunderung derselben etwas geschwächt, zumal man jetzt auch in Deutschland aus eigner Erfahrung der Wirksamkeit der bloßen Verfassungen etwas zu mißtrauen ansing. Nach England wandte sich in diesen ersten dreißiger Jahren der Blick schon wieder darum, weil der um die Reformbill geführte Kampf dem Continent verständlicher war, wie so manche andere Begebenheit im englischen Staats-