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zu Theil werdcn lassen. Man hatte die schon früher an den Tag getretene Zuneigung zu katholischen Interessen für erkünstelt und für ein Werk der Politik erachtet. Es soll ihr aber nach dem, was ich darüber höre, eine aufrichtige Gcmüths- richtung zu Grunde liegen. Die russische Negierung sendete den greisen Diplomaten wol nur hierher, um das Werk der Versöhnung anzubahnen. Im Herbst ist seine Aufgabe, wie man annimmt, vollendet, und es wird sich dann darum handeln, einen Nachfolger zu finden. Daß Herr von Titoff dieser nicht sein wird, würde auch dann fest stehen, wenn derselbe nicht, indem er zum Erzieher des Großfürsten Cäsarewitsch ernannt worden ist, einen festen und wichtigen Posten erhalten hatte.
Das Gewitter, unter dessen Donner ich meinen Brief begann, dauert fort, und scheint sich jenseits der Meerenge zu entladen. Der Wind ist stärker geworden; die Wellen tragen Schaumtäppchcn, und die auf der Nhcde liegenden größcrn und kleinern Fahrzeuge, einige Kriegsschiffe mit einbegriffen, tanzen lustig um ihre Ankcr- kettcn.
Die Kluilbachschm Illustratimien zu Shakespeare.
Man konnte es kaum anders als einen unglücklichen Gedanken nennen, wenn der Künstler, welcher den gräcisirenden idealistischen Klassicismus in unserer Kunst am ausgesprochensten vertritt, sich die Aufgabe stellte, dem realistischsten aller Dichter, Shakespeare, naehzuschaffen, und man dnrfte von vornherein fast mit Sicherheit annehmen, daß daraus niemals irgend etwas Erquickliches entspringen könne. Der Erfolg hat dieser Meinung nur zu sehr Recht gegeben. — Es ist einer der Grundmängel der idealistischen Richtungen, daß sie statt an der Unerschöpflichkcit der Natur in ihren Bildungen Theil ,zu nehmen, auf eine größere oder geringere Anzahl ihnen geläufig gewordener Typen beschränkt sind und durch die unablässige Wiederholung derselben zuletzt bis zur Uncrträglichkcit langweilig werdcn. An diesem Uebel leidet denn auch der Kaulbachsche Shakespeare, und zwar mehr als die übrigen Producte des Meisters, er ist das Schwächste, was derselbe bisher veröffentlicht hat. Kaulbach ist bereits so Manicrist geworden, daß er indische, persische Gedichte, die Bibel, den Homer, einen Kirchenvater, ein nordisches Märchen oder modernste Geschichte illu- strircn kann, und Eines genau aussieht wie das Andere. Immer treten dieselben Figuren uns entgegen, er vermag die Natur we^er recht anzusehen noch recht nachzuahmen-, wenn er sogenannte Charaktere bilden will, sö schafft er in der Regel Caricaturcn, wie in seinem König Johann, wo die Zusammcntnnft mit dem Dauphin von Frankreich wol das Absurdeste ist, wodurch der große Dichter nur verunstaltet werden konnte. Nirgend tritt die ungcmcine innere Kälte Kaulbachs, das angekünstelte, aller Unmittelbarkeit und Frische entbehrende Wesen dieses Künstlers, sein peinliches Verstandesraffinement so hervor als in diesem Blatt, wo alles Grimasse, nichts wahre, warme Empfindung, nichts der Natur abgelauscht, oder liebevoll von ihr geschenkt ist. Nicht minder widerwärtig ist der Tod des Königs Johann, ja er ist vielleicht noch ärger, da er ganz ebenso wenig wie Lady Macbeth mit ihrer berühmten Wahnfinnssccne auf uns den Eindruck eines bedeutenden, großartig an-