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Leibeigenschaft in Rußland. 1.
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Princip dabei stets blos in zweiter Reihe stand. Als consequent festgehaltenen Gesichtspunkt erkennt man dagegen die Verstärkung der autokratischen Allein­macht auf Kosten der nationalen Institutionen; als momentane Veranlassungen bald hochgehende Unzufriedenheit im Adel, bald das Drohen socialer Bewe­gungen im Volke; als nächsten Zweck die Herftelluug socialer Gegensatze in der Bevölkerung. Zerspaltung ihrer nationalen Einheit, Zersplitterung ihrer Gesammtheit in einander gefesselt befehdende Parteien. Verheißen wurden die socialen Reformen immer, wenn es galt, entweder die Gefammttraft der Na­tion gegen das Ausland in Anspruch zu nehmen. oder den patriotischen Eiser der Grundherrn durch diese Drohung anzustacheln; die Rückschritte auf der betretenen Bahn hielten immer gleichen Schritt mit der wiedergewonnenen Machtsicherheit des Zarenabsolutismus.

Dies historisch zu verfolgen, ist jedenfalls nicht ohne Interesse, wenn wir ein klares Urtheil über die heutige» Neformanläufe gewinnen und auch die wahrscheinlichen Wirkungen einer vollständigen Aufhebung der Leibeigenschaft aus Rußland selbst, wie auf das Ausland bemessen wollen. Die Schluß­folgerungen sind dem Leser anheimzustellen, wir haben blos Thatsachen zu gebe». Zwei Hauptperioden charalterisiren die Leibeigenschaftsgeschichte! eine Entwick­lung derselben, welche unter Peter l. ihren Gipfelpunkt erreicht, und Anläufe zu ihrer Rückbildung, deren erste geschlossene Organisation soeben im Werke ist.

Wie entstand die Leibeigenschaft in Rußland? So lange man Rußland kennt, zerfällt das russische Volk allerdings in Herren und Knechte, allein nicht in Freie und Unfreie, wie man uus heute so gern glauben machen möchte. Bevor die Tataren in Moskowien einfielen, war das Land in eine Menge kleiner Monarchien zersplittert, deren Gesammtheit nicht einmal den Charakter eines Staatenbuudes rcpräsentirte. Ihre Dynastengeschlechter waren allerdings fast durchgängig aus einem Stamme hervorgegangen; auch erkannten sie nominell sämmtlich die Suprematie zuerst der Großfürsten von Kiew, dann derer von Wladimir an. Allein dies hinderte sie keineswegs, eben­so freiherrlich und selbstständig ihre Souveränetätsrechte auszuüben und Knege untereinander zu führen, wie die unmittelbaren Vasallen des Kaisers in der zerrüttetsten Epoche des deutschen Reichs. Der im Slaventhum begründete Mangel eines die Besitzungen zusammenhaltenden Erbrechtes ließ nicht blos diese Duodezmonarchien, sondern auch die etwaigen Familiengüter ihrer va­sallenartigen Aristokratie immer mehr zersplittern. Blos innerhalb der Ge­meinden, welche nur Gesnmmtbesitz und Gesammtnutzung ihres Areals kann­ten, erhielt sich eine gewisse Stabilität der Besitztümer. Der siegreichen Macht der Tataren ward es auf diese Weise leicht. Herren und Volk. Theil­fürsten. Bojaren und Gemeinden unter gleiches Joch zu beugen. Die Theil- sürsten wurden jetzt zu tributpflichtigen Unterthanen ihrer Besieger. Selbst be-